Die Nacht des Schierlings
eleganteres, wohlhabenderes. Die Ausgabe hatte sich bezahlt gemacht.
Es war so hell in dem neuen Laden, und obwohl sie auch vorher auf Sauberkeit geachtet hatte, sah nun alles noch sauberer aus. Sie fühlte sich auch selbst wohler, fast, als gehöre sie zu diesen wohlhabenden Leuten, deren Köchin oder Mamsell hier kauften, die nun auch gerne persönlich kamen, um für ihre Desserts einzukaufen: köstliches Konfekt oder Konfitüren, Kuchen oder Törtchen, süßes Brot.
Ihre neu erdachten Rezepte hatte Molly seither häufig abends ausprobiert, anstatt am Ende eines langen, arbeitsreichen Tages zu ruhen. Sie hatte befürchtet, der Meister oder ihre Mutter würde das nicht gerne sehen, es kostete zumindest Kerzen. Aber Bruno Hofmann wusste, wessen Rezepte und Kunstfertigkeiten den guten Ruf des Hauses ausmachten und die Kasse füllten. Auch Magda Hofmann hatte nichts einzuwenden gehabt. Molly möge auf das Feuer achten, bat sie nur, und später, als die beiden einmal allein waren, sagte sie, sie beneide ihre Tochter um ihre jugendliche Kraft, manchmal fühle sie sich recht müde. Und alt. Auf Mollys Protest, sie sei keineswegs alt, erscheine auch nicht so und werde es nie werden, lächelte sie sanft.
Danach hatte Molly die Zeichen dieser Müdigkeit, auch der Müdigkeit der Seele, im Gesicht und in den Bewegungen ihrer Mutter doch wahrgenommen. Nicht alle Tage, nur hin und wieder. Aber Molly war jung, tatsächlich stets voller Energie und Ideen, ihre Mutter schien mit ihrer neuen Ehe zwar glücklich, aber es war ganz natürlich, wenn sie in ihren Jahren ein wenig müder wurde. Molly hatte nicht mehr darüber nachgedacht.
Vielleicht, so dachte sie jetzt, während sie den Sirup für die kandierten Weinbeeren rührte und genau darauf achtete, dass der zuvor sorgfältig geklärte Zucker nicht anbrannte, vielleicht war ich nur zu misstrauisch?
Trotzdem, sie hatte Bruno Hofmann nicht gemocht. Seine Augen, denen sie nicht trauen konnte, gleichwohl trauen musste , denn er war der Mann, dem ihre Mutter ihrer aller Leben anvertraut hatte. Seine breite Präsenz. Seine Selbstgewissheit. Die Selbstverständlichkeit, mit der er sich von Anfang an als Herr des Hauses gezeigt hatte …
Sie hörte ein kurzes, helles Lachen und blickte sich hastig um. Der Sirup köchelte nun, sie durfte den großen, dummerweise zu hoch gefüllten Topf nur kurz aus den Augen lassen, der süße Seim kochte allzu leicht über. Das Lachen war aus der Diele gekommen, es hatte nach ihrer Mutter geklungen. Molly fühlte, wie ihr leicht wurde. Es war nur ein kurzes Lachen gewesen, aber immerhin ein Auftauchen aus der Starre der letzten Tage. Nun hörte sie Ludwigs brummendes Lachen, noch kürzer, und Elwa rief: «Verdammt, Ludwig, pass doch auf!» Sie prustete, was bei ihr Heiterkeit bedeutete. Dann war es wieder still.
Einerlei, was die drei amüsiert hatte, es war ein gutes Zeichen. Beim großen Arbeitstisch am Fenster hob Marius das Messer, mit dem er gerade Haselnüsse in hauchfeine Scheiben schnitt, und hielt es wie eine Fackel im Triumph, Gerdi nickte nur und knetete weiter den dicken Klumpen süßen Zimtteig. Nur Sven ließ sich nicht von seiner Arbeit ablenken. Mit geröteten Wangen, die Zungenspitze zwischen den Lippen, drehte und drückte der Lehrjunge rasch und gleichmäßig den Stößel in den Mörser, der Duft der geriebenen Aniskörner lag schon in der Luft. Nachher würde er niesen, dann waren die schwarzen Pfefferkörner dran.
Wieder hörte sie eine Stimme, diesmal eine männliche, sie konnte die Worte nicht verstehen, sicher ein Kunde. Molly hob den schweren Topf vom Feuer, rührte noch einmal um und legte den Deckel auf. Die Arbeit am Herd hatte sie erhitzt und durstig gemacht, ein kleiner Krug Wasser würde guttun. Und sie musste eine Liste für die nötigen Einkäufe machen, die Vorräte besonders der Gewürze waren geringer, als sie gedacht hatte. Sie dachte auch an eine Extraportion Anissamen. Sie hatte Lust auf etwas Einfaches, etwas wie Aniszuckerkörner. Die waren schnell gemacht, nicht teuer und verkauften sich gut, gerade auch in kleinen Mengen. Vielleicht wollte Apotheker Leubold auch davon. Die Leute würden sie gerne gegen Husten und schlechten Atem kaufen.
Der Apotheker hatte sich nicht zu einem Kondolenzbesuch eingefunden, sondern sein Beileid nur durch Momme Drifting ausrichten lassen. Sicher hatte Leubold gedacht, das reiche aus, vielleicht war das dort, wo er herkam, üblich. Vielleicht war auch ein eigener Trauergruß
Weitere Kostenlose Bücher