Die Nacht des Schierlings
am Tisch haben, und die bestand nicht nur aus Mutter und Tochter. Der Geselle und die Magd gehörten dazu. Das sah er, das hatten auch die Nachbarn gesagt. Ungewöhnlich treue Seelen, die beiden, lebten hier Jahr um Jahr. Er wollte sehen, was sich in ihren Gesichtern tat, ob und was für Blicke hin und her gingen. Was nicht so leicht war bei vier Gesichtern. Hätte er doch daran gedacht, Grabbe mitzunehmen. Ein Fehler, dass er mal wieder alleine losmarschiert war.
«Lass nur, Elwa, für den Weddemeister muss sein Tod ein Fall sein.» Magda Hofmanns Stimme klang rau, ihr Blick war tapfer.
Wagner riss sich zusammen. Es würde nicht leicht werden. Leider müsse er nun, da die Dinge so lagen, wie sie lagen, noch einmal genauer erfragen, wie der letzte Abend des, er hüstelte umständlich, Verblichenen verlaufen sei.
Madam Hofmann nickte, die anderen drei sahen ihn nur abwartend an.
«Zunächst: Wie habt Ihr erfahren, dass sein Tod kein Unfall war?»
Molly wollte etwas sagen, doch Wagner hatte ihre Mutter angesehen, und die hob die Hand. «Danke, Kind, das schaffe ich. Nachdem Ihr hier wart, Weddemeister», erklärte sie ruhig, aber mit belegter Stimme, «bestand daran kaum noch ein Zweifel, nicht wahr? Ludwig ist für mich noch einmal zum Eimbeck’schen Haus gegangen, und der Physikus, ich vergesse immer seinen Namen, war der gleichen Ansicht wie Ihr. Er hat meinem Gesellen versichert, trotzdem gebe es keinen Anlass, den Leichnam …», sie schluckte und schloss für einen Moment die Augen. «Er hat gesagt, es werde keine weiteren Untersuchungen geben, wir können das Begräbnis bestellen. Wofür ich Gott gedankt habe. Wahrscheinlich hätte ich dem Physikus danken müssen. Dann haben wir, nein, dann hat meine Tochter alles arrangiert. Ich war dazu an jenem Tag nicht in der Lage.»
«Natürlich nicht in der Lage, gewiss. Dabei fällt mir ein: Euer Geselle hat am Morgen bei der Suche nach Meister Hofmann gleich im Eimbeck’schen Haus gefragt.» Er wandte sich Ludwig zu. «Dort sucht man nur nach Toten. Wie kam er auf die Idee?»
Ludwig nickte bedächtig. «Auf die Idee gar nicht. Ich hab im Bremer Schlüssel nachgefragt, ich wusste ja, da wollte er hin. Die Schankmägde wussten aber nichts, ist ja klar, da übernachtet keiner. Dann wollte ich zum Wachhaus auf dem Großneumarkt, zur Arreststube für die», ein rascher, unsicherer Blick flog zu Magda Hofmann hinüber, «tja, für die Nachteulen. Und wie ich noch überlege, ob ich durch die Gänge geh oder doch besser durch den Alten Steinweg, kommt der Knecht von Möhldörp aus dem Haus bisschen schräg gegenüber an der anderen Fleetseite. Der guckt erschreckt und sagt, am Morgen hätt’ er’s gar nicht gemerkt, war alles voll Schlick, der ganze Mann, und noch dunkel. Aber jetzt, wo ich den Meister suche – jedenfalls hat er gesagt, der Nachtwächter hätt’ einen Mann im Fleet entdeckt, der ist tot und im Eimbeck’schen Haus, er hat ihn selbst hingebracht, mit seiner Karre. Aber jetzt, hat er gesagt, denkt er, es könnte unser Meister gewesen sein. Also bin ich sofort zum Eimbeck’schen Haus gegangen, und da … tja.»
Magda Hofmann und ihre Tochter waren kaum merklich zusammengerückt. Molly hielt die Hand ihrer Mutter, deren Gesicht war grau wie Novembernebel.
«Den Rest wisst Ihr, Weddemeister.» Molly Runge blickte streng. «Es gibt auch nicht mehr viel zu sagen. Wir haben für ein gutes Begräbnis gesorgt.»
«Warum so schnell? Es ist Sitte, ein paar Tage länger zu warten, bis, nun, bis alle sich verabschiedet haben.»
«Glaubt Ihr wirklich, es wären gute Abschiedsbesuche gewesen?», fragte Magda Hofmann, in Wagners Ohren klang es bitter. «Das könnt Ihr nicht glauben, Weddemeister. Mein Mann war noch nicht lange in der Stadt, es gab etliche, die ihm seinen Erfolg darum umso mehr geneidet haben. Nun war er tot, durch fremde Hand, manche beharrten weiter darauf, er sei nur betrunken gewesen und in eine Schlägerei geraten und deshalb selbst schuld. Beides ist schändlich in den Augen der Leute. So war es bisher auch in meinen Augen, nun sehe ich das anders.» Sie legte beide Hände auf ihr Gesicht, als müsse sie es kühlen. Wagner hörte ihren Atem schwerer gehen, sie kämpfte mit den Tränen und dem Jammer.
«Ihr wisst auch, dass es für ihn kein respektables Begräbnis gegeben hätte», setzte ihre Tochter die Erklärung fort. «Das verbietet die Sitte, unsere christliche Moral, ich glaube, sogar das Gesetz. Meister Hofmann stammte aus
Weitere Kostenlose Bücher