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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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dachte, Ludwig ist der Letzte, der raufgeht. Das habe ich gehört, ich kenn seinen Schritt genau, die Schritte von jedem im Haus. Aber ich glaube», sie schob die Unterlippe vor und verschränkte die Arme vor der Brust, «klar, ich hätte auch sonst den Riegel vorgelegt. Sonst könnte ja jeder rein. Der Meister konnte klopfen, ich habe meine Kammer hier neben der Küche, da hör ich alles. Ich hätte ihn schon reingelassen.»
    «Wenn Ihr alles hört», setzte Wagner nach, «habt Ihr auch gehört, ob noch jemand das Haus verlassen hat?»
    «Wer sollte das denn gewesen sein?», fragte Magda Hofmann. «Glaubt Ihr, einer von uns – von uns hat das getan?»
    «Er muss das sicher fragen, Mutter», sagte Molly. Wagner warf ihr einen dankbaren Blick zu.
    «Keiner ist mehr weggegangen», sagte Elwa ungerührt. «So spät doch nicht. Die Meisterin und Molly haben schon geschlafen, Ludwig war oben, ich in meiner Kammer. Und unser Lehrjunge, Sven, der war sowieso längst oben. Der schläft immer früh.»
    Wagner nickte. «Zwei Fragen noch, Madam Hofmann.» Er fischte aus den Tiefen seiner Rocktaschen einen nicht mehr als ordentlich zu bezeichnenden Zettel und einen Bleistiftstummel und legte beides vor sich auf den Tisch. Es konnte nicht schaden, das eine oder andere Stichwort zu notieren, er würde das später kaum brauchen und mit Sicherheit nur schwer entziffern können, sein Kopf war das beste Notizheft, aber es half und gab ihm ein Gefühl der Sicherheit, wohingegen es bei denen, die er befragte, leicht Gegenteiliges bewirkte.
    «Ihr sagtet am Dienstag, der Meister sei in eine kleine Rangelei geraten, daher seine Schrammen am Gesicht und an den Knöcheln, als er – wie war es doch? Als er einem Freund helfen wollte?»
    «So ähnlich, glaube ich. Ich war nicht dabei.»
    «Ich hab das gesagt», warf Elwa ein, was Wagner ignorierte.
    «Er wollte jemandem helfen», fuhr er fort, «ein Freundschaftsdienst, sehr schön. Leider muss ich sagen, dass es nicht so war. Tatsächlich ging es um ein Mädchen, ein junges, hübsches Mädchen», fügte er nachdrücklich hinzu. «Das dumme Ding hat ihm schöne Augen gemacht, und ihr Begleiter mochte es nicht, als Euer Gatte, wie soll ich sagen …»
    «Egal wie Ihr es sagt, Weddemeister, es wird mich nicht beleidigen. Ich habe davon gehört und weiß, dass er solche Tändeleien mochte. Wie die meisten Männer. Mit so einem liederlichen Mädchen ist es immer nur ein Spiel. Mit einer, die für jeden zu haben ist. Warum sollte mich das stören? Ich bin nicht dumm, und ich weiß auch, was die Leute über uns geredet haben. Immer noch reden. Und nun bin ich wirklich erschöpft, wenn Ihr noch eine Frage habt, stellt sie rasch.»
    «Natürlich, Madam.» Wagner steckte Zettel und Bleistift wieder ein und stand auf. «Ich bin schon weg. Nur eine kleine, winzige …»
    «Was noch, Weddemeister?», fragte Molly kurz.
    «Die Kleider des Toten. Man hat mir gesagt, Ihr habt sie im Eimbeck’schen Haus gelassen. Was …»
    «Ich», fiel Molly ihm ins Wort, «ich habe das so entschieden. Was ist daran besonders?»
    Wagner knöpfte seinen Rock zu und schnippte einen Krümel Marzipan vom linken Ärmel. «Kleidung hat einen Wert, Jungfer Runge. Man hätte sie säubern und verkaufen können. Oder den Armen geben.»
    Sein Blick fiel auf den Gesellen, der ihn unverwandt ansah. Ludwig – wie war doch der Familienname? Dieser Ludwig hätte den Rock des toten Meisters gut tragen können, er hatte nahezu die gleiche Statur.
    «Wir wollten die Kleider einfach nicht mehr haben», hörte er die Jungfer leise sagen. «Meine Mutter hätte den Anblick nicht ertragen. Das müsst Ihr doch verstehen.»
    Wagner nickte bedächtig. «Verstehen, ja. Aber wenn man den Wert bedenkt – wenigstens die Knöpfe, habt Ihr die Rückgabe der Knöpfe erbeten?»
    Alle vier sahen ihn an, die Meisterin müde, Magd und Geselle ratlos, die Jungfer mit nur mühsam verhaltenem Ärger.
    «Sicher habt Ihr einen Grund für diese Frage, Weddemeister», sagte sie. «Wir haben weder an die Knöpfe gedacht, noch hätten wir sie gewollt. Oder denkst du anders darüber, Mutter?»
    «Nein, gewiss nicht. Es waren auch keine besonderen Knöpfe, die über ihren Wert als Andenken dienen konnten. Sie waren aus Holz und mit dem Stoff der Jacke bezogen. Warum fragt Ihr danach? Hat man etwas gefunden?» Sie erhob sich so hastig, dass ihr Stuhl schwankte, trat nah an Wagner heran und sah ihn Auskunft heischend an. «Dort an der Brücke? Etwas, das einen

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