Die Nacht des schwarzen Zaubers
stärker.
»Du spürst die Kraft des Himmels«, sagte Tomamai dunkel und beschwörend. »Die Unendlichkeit durchzieht dich und nimmt das Böse mit sich fort ins All …«
Volker verstand ihn nicht mehr. Tomamai sprach jetzt kreolisch, und seine Stimme erhielt einen singenden Ton. Aber er spürte, wie in seinem Leib, dort, wo Tomamais Hand lag, ein heftiges Ziehen begann, kein Schmerz, kein Stechen, nur das Gefühl, als zöge jemand etwas aus seinem Körper, das so unwichtig war, daß der Leib nicht einmal mit Schmerzen antwortete.
Ein paarmal bäumte sich Volker auf, sein Körper zitterte, Schweiß brach aus den Poren, er zog die Knie an und stieß die Beine dann wieder von sich, sein Kopf bewegte sich hin und her und wühlte sich mit einer fast mechanischen Gleichmäßigkeit in die Kissen … links-rechts-links-rechts … und von allem spürte er nichts, wußte er nichts, er fühlte nur den ungeheuren Strom, das Ziehen in seinem Leib und das taube, schmerzlose Entfernen des Unnennbaren in seinem zuckenden Körper.
»Du wirst gesund«, sagte Tomamai und beugte sich über Volker. Der Junge öffnete ein wenig die Augen. Der Schweiß lief ihm in den aufgerissenen Mund.
»Ich werde gesund!« antwortete er mit ganz klarer Stimme.
»Du fühlst es …«
»Ich fühle es.«
»Du wirst groß und stark.«
»Ich werde groß und stark.« Tomamai hob die eine Hand von Volkers Leib und löste die andere von der Hand des Jungen. Der geheimnisvolle Kreislauf des Stromes brach zusammen, noch einmal bäumte sich Volker auf und fiel dann matt aufs Bett zurück. Sein fahles Gesicht bekam neue Farbe, er atmete tief und lächelte Tomamai zu. Der Alte wischte ihm den Schweiß vom Körper und deckte ihn bis zum Hals zu. »Wir werden morgen fischen gehen«, sagte er. »Segelfische, Wahoos und Bonitos. Hast du Lust?«
»Wenn ich darf, Tomamai?«
»Du darfst.«
»Und das Fieber?«
»Morgen hast du kein Fieber mehr.«
»Und … und mein Blut?«
»Wir werden das Blut überlisten.« Tomamai stand auf. Sein runzeliges Gesicht zerfloß in einem breiten Lächeln. Es war jetzt fratzenhaft wie die Göttermaske, die er gestern getragen hatte. »Was wollen sie alle von dir, mon Petit. Du bist doch nicht krank.«
»Ist das wahr?«
»So wahr, wie wir morgen Fische fangen.«
Als Tomamai aus dem Haus kam, hatte Baumann gerade gesagt: »Jetzt geh' ich hinein! Ich will wissen, was er mit dem Jungen tut! Das ist das letztemal, daß ich nachgebe! Morgen früh fliegen wir nach Mahé!«
»Morgen früh fahren wir aufs Meer hinaus«, sagte Tomamai. Er hatte den letzten Satz noch gehört. »Mon Petit und ich!«
»Er ist verrückt!« schrie Hansen.
»Wie … wie geht es ihm?« stammelte Marga.
Claudia rannte an Tomamai vorbei ins Haus, aber in der Tür blieb sie stehen, als hielte sie jemand fest. Dann wich sie mit einem unterdrückten Schrei zurück.
Volker kam heraus, in seinem kurzen Hemd, unter dem die staksigen Beine noch dürrer aussahen. Er breitete die Arme aus und hielt sich am Türrahmen fest.
»Morgen früh fangen wir Segelfische!« rief er mit seiner etwas kieksenden Jungenstimme. »Ich bin doch nicht krank!«
Es gibt Dinge, die man nicht erklären kann …
Eine Woche später war Richtfest, und das ganze Dorf feierte. Zehn Hammel drehten sich an eisernen Spießen über den Feuern, die Eingeborenen tranken Coca Cola, weil Balolonga verboten hatte, daß Alkohol auf die Insel kam. Merkwürdigerweise gab es zahlreiche Betrunkene, als die Nacht fortgeschritten war, und als Baumann ein Glas Cola trank, schmeckte das Gesöff zwar süßlich, aber es brannte höllisch in der Kehle.
»Ihre glücklichen Insulaner sind große Schlitzohren!« sagte Baumann lachend zu Dr. Rank, der besoffen sein durfte und sein ganzes Repertoire an Trompetensoli herunterblies. »Im Cola ist mehr Rum als Coca.«
»Der Schmuggel.« Dr. Rank hob die Schultern. »Bis jetzt haben Sie nur die Schokoladenseite von Aimée gesehen – sie ist allerdings die prägnanteste. Aber es gibt auch eine saure Seite, Alex, und das ist der Schmuggel. Und dieser Bob Skey, ich lasse mich fressen, wenn's nicht stimmt, hat mächtig seine Flossen drin! Woher kann er sich solch ein Motorboot leisten? Durch seine Mietfahrten? Unmöglich. Die bringen nicht einmal das Benzin ein! Kontrollen aus Mahé sind immer ein Schlag ins Wasser, denn die Schmuggler haben einen guten Draht zu den Behörden.«
»Und was tut Balolonga dagegen?«
»Das werden Sie morgen sehen! Jeder Besoffene muß
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