Die Nacht des schwarzen Zaubers
sie. »Man atmet den Duft einer Blume ein, und die Welt versinkt. Komm mit …«
Baumann rührte sich nicht. Der Duft, der von Sathras Haaren und von ihren Schultern ausging, war eine einzige Aufforderung.
»Tristan und Isolde auf den Seychellen«, sagte Baumann mühsam und gegen seine Empfindungen ankämpfend. »Nacht der Liebe, gib Vergessen …«
»Was heißt das?« fragte sie.
»Das verstehst du nicht.«
»Komm mit!« Sie faßte nach seinen Händen, preßte sie an sich und küßte ihn plötzlich auf den Mund. Er stand wie versteinert, und das verzweifelte »Ich liebe Marga!« verklang wie ein einsamer Schrei im Nebel.
»Soll dein Sohn weiterleben?«
Baumann zuckte zusammen. »Was hat Volker damit zu tun?«
Plötzlich war die völlige Ernüchterung in ihm. Der unbeschreibliche Zauber Sathras verflog. Er riß seine Hände von ihren Brüsten und sprang zur Seite.
»Wen liebst du mehr?« fragte sie. In ihrer sanften Stimme lag jetzt etwas Höllisches. »Deinen Sohn oder deine Frau?«
»Was ist das für eine Frage!«
»Beantworte sie.«
»Darauf kann man nicht antworten, Sathra.«
»Wen würdest du opfern?«
»Niemanden!« schrie Baumann plötzlich. »Was soll der Unsinn!«
»Du wirst einen opfern, Herr! Entscheide dich.« Sie lächelte ihm zu, betörend und grausam zugleich. Ein Geschöpf aus Liebe und Unbarmherzigkeit stand vor ihm. »Dein Sohn wird sterben, wenn du mich nicht küßt, und deine Frau wird sterben, wenn du mich küßt. Es gibt kein Weglaufen, Herr. Entscheide dich.«
Sie legte wieder die Hände grüßend aneinander, verneigte sich tief und demütig, das lange Haar fiel wie ein schwarzer Mantel über ihren Körper und verdeckte ihre Brüste. Dann wandte sie sich ab und ging lautlos davon. »Träume ich?« sagte Baumann zu sich und starrte ihr nach. Einer wird sterben: Marga oder Volker … O mein Gott, ist denn überall auf dieser Welt nur die Hölle?
Die beiden Schiffe unten in der tosenden Felsenbucht hatten unterdessen an dem Plateau festgemacht und Strickleitern ausgeworfen. Mehrere Scheinwerfer erleuchteten jetzt hell den Platz und die Höhle. Vier Männer waren schon auf der Felsenplatte und sicherten die Strickleitern. Es mußte da unten Eisenringe und Haken geben, ein Beweis, daß der Ankerplatz ausgebaut worden war.
Alexander Baumann war von der Begegnung mit Sathra und ihrer mörderischen Leidenschaft noch so überwältigt, daß er sich erst an das Geschehen in der Bucht erinnerte, als starke Scheinwerfer das Innere der großen Höhle erhellten. Er ging weiter bis zum Rand der bizarren Felsen, legte sich zwischen die Steinbrocken und starrte hinunter.
Etwas geradezu Unwahrscheinliches geschah dort: Aus der Höhle wurden zusammenklappbare Schienen geholt und bis zum Ende der Felsenplatte verlegt. Dann tauchte ein flacher Wagen auf, geschoben von drei Männern in gelbem Ölzeug. Vorne an der Lore, die wie ein Förderwagen im Bergwerk aussah, ragte ein kleiner Kran in die Höhe. Das Wägelchen rollte bis zum Rand des Plateaus, ein großer Haken glitt an Stahltrossen in die Tiefe und verschwand in einer offenen Luke im Deck des ersten Motorboots. Kiste um Kiste schwebte nun am Kran vom Meer ans Land, die eine wie die andere wurde auf den Schienenwagen abgesetzt, den die drei Männer in Bewegung setzten, um mit ihm in der Höhle zu verschwinden.
Vierzehn Ladungen zählte Baumann, sieben pro Schiff, dann war der nächtliche Transport beendet. Die Luken schlossen sich, und die Schienen wurden wieder zusammengeklappt. Die Lichter erloschen bis auf die Scheinwerfer von den Booten, die geisterhaft und in der starken Dünung schwankend die Felsenplatte abwechselnd in Licht oder tiefe Nachtschwärze tauchten. Die Männer kletterten an Bord, die Strickleiter wurde eingeholt und die Vertäuungen aus den Eisenringen gezogen. Lautlos glitten die beiden Boote aus der schäumenden Bucht hinaus ins Meer, wo sie schnell in der Dunkelheit verschwanden.
Einhundertachtundsechzig Kisten, dachte Baumann und blieb zwischen den Steinen liegen. Heimlich an Land gebracht. Das kann nicht nur Whisky sein. So viel können auch die besten Säufer der Insel Aimée, einschließlich Dr. Rank, nicht bewältigen. Was da unten abgeladen worden ist, muß eine ganz heiße Sache sein. Was wußte Sathra davon? Warum sagte sie: Geh nicht hinunter, Herr. Baumann richtete sich auf. Die Beklemmung war wieder da. Einer wird sterben, hatte sie gesagt. Deine Frau oder dein Sohn. Ich werde den Hausbau einstellen, dachte
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