Die Nacht des schwarzen Zaubers
er. Sofort! Wir werden diese Insel so schnell wie möglich verlassen. Er lief den Weg zurück, den er gekommen war, und als er den Wald wieder erreichte, rannte er am Ufer entlang und stürzte völlig außer Atem in sein halbfertiges Haus.
Titus Hansen lag im ›Schlafzimmer‹ auf dem Rücken und pfiff leise im Schlaf. Baumann rüttelte ihn, bis er erwachte und blöde vor sich hinstarrte. »Was soll das?« sagte er, als er Baumanns Gesicht erkannte. »Hat dich was gebissen? Hier gibt es doch keine Giftschlangen.«
»Hast du eine Ahnung!« Baumann rang nach Luft. Der schnelle Lauf hatte ihn fertiggemacht. »Schlangen von unwirklicher Schönheit.«
»Bist du verrückt, Alex?«
»Ich könnte es werden. Mensch, wach endlich auf! Titus, wir bauen nicht weiter! Mit dem nächsten Schiff fahren wir weg.«
»Und wohin?«
»Irgendwohin! Ich weiß es noch nicht.«
»Wo ist Dr. Rank?« sagte Hansen und setzte sich. »Er soll seine alte Trompete nehmen und dir das Hirn damit durchpusten! Was regt dich so auf, Junge? Die warme Nacht vielleicht? Seit wann bist du wetterfühlig? Hier gibt es keinen Föhn, das weiß ich nun ganz genau – auch, daß hier keiner jodelt.«
»Verdammt! Laß die dämlichen Witze!« schrie Baumann. Sein Herz klopfte zum Zerspringen. »Es ist ernst, ich verlasse sofort die Insel.«
»Und Volker?«
»Eben wegen Volker. Und wegen Marga!«
»Bekommt ihr das Klima nicht?« Hansen war plötzlich hellwach. »Was ist mit dem Jungen? Hat er wieder einen Anfall bekommen?«
»Ihm geht es gut.« Baumann ging hinaus vor das Haus und blickte hinüber zu dem dunklen Berg, der sich wie ein mächtiger Buckel über dem Palmenwald erhob. Dort war die große Bucht, dort lag das Dorf, und dort in Ranks Haus schliefen jetzt Volker, Marga und Claudia ihren ahnungslosen Schlaf.
Baumann griff sich an die Kehle, als würge ihn etwas. Hansen, der ihm gefolgt war, sah ihn erstaunt an. »Mir scheint, du bist krank«, sagte er.
»Komm mit«, sagte Baumann energisch. Hansen blieb stehen und tippte an seine Stirn.
»Wohin, jetzt mitten in der Nacht? Vor dreißig Jahren hab' ich Mondspaziergänge gemacht. Hand in Hand … aber nicht mit einem Mann!«
Baumann reagierte nicht. Er ging zurück zu den Felsen. Hansen mußte ihm wohl oder übel folgen. Er hat 'ne Macke, dachte er. Dabei ist er gar nicht der Typ, der einen Tropenkoller bekommt! In der Nacht zu den Granitfelsen! Er holte Baumann ein und ging neben ihm her. »Nun sag schon was!« knurrte er. »Auch Idioten können in der Regel sprechen.«
»Hinter diesen Felsen liegt eine kleine Bucht …«
»Kenne ich. Ein Teufelsloch. Hab' es beim Angeln von weitem gesehen. Ich glaube, die Eingeborenen nennen sie auch so. Eine verdammte Strömung, und diese Brandung zwischen den Klippen!«
»Du, als alter U-Boot-Mann, meinst, da kommt kein Schiff rein?«
»Junge.« Hansen sah Baumann ganz verdutzt an. »Alter U-Boot-Mann! Und du? Aktiver Segler! Was soll der Quatsch? Hast du nicht auch im Stahlsarg gepennt? Überhaupt, was für eine Frage!«
»Es können Boote in die Bucht«, sagte Baumann und ging weiter. »Ich habe zwei solche Dinger beobachtet.«
»Du sollst schlafen, statt herumzugeistern.«
»Sie haben einhundertachtundsechzig Kisten ausgeladen und in eine große Höhle befördert.«
»Nicht etwa einhundertneunundsechzig?« fragte Hansen spöttisch.
»Wer lädt nachts Kisten in einer solchen Bucht ab? Was ist in den Kisten? Warum kommen die beiden Boote unbeleuchtet an Land? Sie haben in der Höhle ausklappbare Schienen und einen kleinen Kranwagen …«
»Und eine TEE-Lok mit einem echten Zwerg im Führerstand … Alex!« Hansen blieb stehen und hielt Baumann am Ärmel fest. »Spinnst du?«
»Komm mit. Ich überlege mir die ganze Zeit, wie man an die Höhle herankommen könnte.« Er befreite sich von Hansens Griff und begann den Steilhang hinaufzuklettern. Hansen blieb neben ihm. »Auch Sathra weiß davon.«
»Sathra?«
»Sie war auch da.«
»Heute nacht? Ihr beide im Mondschein?« Hansen pfiff durch die Zähne. »Alter Junge, mach keine Zicken! Wir kennen uns jetzt über dreißig Jahre! Und einundzwanzig Jahre bist du mit Marga verheiratet. Das hat sie nicht verdient! Alex, verdammt, hör mir zu! Sei vernünftig! Mach aus dem Paradies hier keinen erotischen Rummelplatz. Wir sind nicht hier, um deinen zweiten Frühling zu pflegen!«
»Es kommt alles zusammen, Titus.« Baumann kletterte voraus. Er nahm jetzt einen direkteren Weg, steil bergauf. »Wir müssen
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