Die Nacht des schwarzen Zaubers
waren schnelle Motorboote mit flachen Kabinenaufbauten und mit einem Radarschirm sogar über dem Ruderhaus. Das Toben der See schluckte jedes anderes Geräusch. Wie der Riese Gulliver sah Baumann hinunter auf die beiden Boote, die im Wasser schaukelten und anscheinend am Felsen ankerten, das eine links, das andre rechts vom Plateau. Beide Scheinwerfer erleuchteten jetzt den Eingang der Höhle – ein Riesenschlund in einem zerklüfteten Gewicht aus Granit.
»Geh nicht hinunter!« sagte plötzlich eine sanfte Stimme hinter ihm. Entsetzt wandte Baumann sich um. Das lange Haar offen im Wind, um den Körper ein dunkelrotes Tuch gewickelt, die Schultern entblößt, so stand Sathra vor ihm – wie eine Geistererscheinung fast im geheimnisvollen Licht des Mondes. Sie hielt die Hände zum Gruß nach indischer Art und sah Baumann mit ihren glänzenden, wie immer fragenden und dabei sehr vielsagenden Augen an.
»Was machst du hier in der Nacht?« fragte er gedämpft, als könne man ihn bis hinunter zu den geheimnisvollen Booten hören.
»Ich bin dir nachgegangen, Herr.« Sie lächelte ihn an, und ihr ebenmäßiges Gesicht war von einer so unwirklichen Schönheit, daß Baumann eine Weile wie verzaubert dastand.
»Warum?« sagte er auf einmal barsch. »Was soll das, Sathra?«
»Ich bin immer um dich, Herr. Auch wenn du es nicht siehst.«
»Ich will das nicht!«
»Oft weiß der Kopf nicht, was die Seele will«, sagte sie sanft. Ihre Stimme klang unendlich zärtlich. Baumann empfand ihre Worte wie eine Liebkosung. Er wehrte sich dagegen, sprang auf und trat einen Schritt zurück. Unten in der Bucht warf man Taue auf das Plateau; Baumann sah es gerade noch.
Nein, sagte er sich. Nicht das! Ich liebe meine Frau! Sag es dir dauernd vor, alter Knabe. Ich liebe meine Frau. Ich liebe meine Frau. Ich habe einen todkranken Jungen und eine Tochter, die so alt ist wie Sathra! Alex Baumann, sei kein Idiot! Du bis auf dieser Insel, um von vorn anzufangen und alles besser zu machen. Besser als im unmenschlichen Automaten der Zivilisation. Du bist hier, um nichts zu sein als ein Mensch! Die Liebe gehört dazu, aber das heißt die Liebe zu Marga und zu deinen Kindern! Fang nicht ein neues Leben an, indem du gleich stolperst und fällst!
»Ich will, daß du glücklich wirst, Herr«, sagte Sathra mit ihrer samtenen Stimme.
»Ich bin glücklich!«
»Du hast mich geküßt.«
»Das war ein Irrtum, Sathra! Das war … wie soll ich's dir erklären? Es war ein Ausdruck von Dankbarkeit …«
»Es war Liebe.«
»Nein!«
»Du weißt es nur noch nicht.« Sie kam auf ihn zu, und da er nicht zurückweichen konnte, weil hinter ihm der Abgrund begann, mußte er stehenbleiben. Sie lächelte ihn noch immer an, aber es war, als läge jetzt in diesem Lächeln nicht mehr allein das Glück, ihn zu sehen, sondern auch eine besitzergreifende Grausamkeit. Nur eine Frau kann so lächeln, und nur eine Frau kann mit den Augen Unaussprechliches sagen.
»Ich liebe meine Frau!« sagte Baumann mit Nachdruck, und das klang so, als wolle er sich zur Wehr setzen. Mein Gott, wie kindisch benehme ich mich, dachte er gleichzeitig. Man sollte sie packen und schütteln, sie stehenlassen und gehen. Aber wer kann das bei diesem Blick, bei diesem allesbezwingenden Lächeln?
Sie hat sich mit irgendeinem süßen Blumenöl eingeschmiert, dachte Baumann. Welch ein betörender Duft in dieser warmen Nacht! Eine Strähne ihres schwarzen Haares streifte sein Gesicht, und er zuckte zusammen wie unter einem Peitschenschlag. Ich liebe Marga, dachte er. Ich liebe Marga!
»Ich kann dich jetzt da hinunterstoßen«, sagte Sathra weich.
»Was hättest du davon?« fragte er. Eine unabwehrbare Beklemmung überfiel ihn. Sie kann es wirklich, dachte er. Und keiner wird es je erfahren, wie es geschehen ist. Alex Baumann ist auf Aimée verschollen … das Meer da unten in der Felsenbucht gibt keinen mehr frei. Ein Mensch ist plötzlich weg. Ein ewiges Rätsel bleibt. »Warum«, fragte er noch einmal mit belegter Stimme.
»Du hast mich geküßt.«
»Sathra … ich …«
»Es gibt keine Nacht mehr«, sagte sie mit ihrer Samtstimme. »Wie kann ich schlafen, wenn ich an dich denke, Herr?«
»Du bist so jung wie meine Tochter!«
»Und du so alt wie mein Vater. Wir wollen das alles vergessen, Herr.« Sie atmete tief ein, und jetzt spürte er sie. Er wehrte sich wieder gegen diese Berührung, doch sie durchströmte ihn wie eine heiße Flut. »Ich weiß eine Stelle, wo man vergißt«, sagte
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