Die Nacht des schwarzen Zaubers
gibt keine Robinsone mehr, zumindest keine freiwilligen. Titus, möchtest du das Leben zweihundert Jahre zurückdrehen?«
»Um Gottes willen – nein!«
»Und trotzdem wird es immer Probleme geben. Wir haben uns zu sehr daran gewöhnt, an einem Schalter zu drehen, und das Licht geht an!«
Die Probleme, das sah Baumann in dieser Nacht, würden auf Aimée ganz anders aussehen. Da er nicht schlafen konnte, stand er leise auf, um Hansen nicht zu wecken, der neben ihm im künftigen Schlafzimmer auf einer Palmstrohmatte lag und leise schnarchte. Er ging hinaus in die warme Nacht und blickte eine Weile über das matt im Mondlicht schimmernde Meer. Hinter der schützenden Felsenzunge vernahm er das ewige Rauschen und Grollen der See. Hier nagte das Meer seit Jahrtausenden an seinem Widersacher, der zu Stein erstarrten Erde. Weiter draußen war eine weißglitzernde, schäumende Brandung zu sehen: die Korallenriffe.
Alexander Baumann ging langsam am Rande des Palmenwaldes entlang. Endlich hatte er die Ausläufer der Felsen erreicht. Vor ihm lag eine Landschaft aus Steinblöcken, von der unbezwingbaren Natur mit Büschen, Gras und schiefen Bäumen überwachsen. Er sah Pflanzen, die sich festkrallten, überall dort, wo ein wenig Boden war und wo sich Wurzeln bilden konnten.
Der Mond spendete Licht genug, und so ging Baumann weiter. Er stieg in Serpentinen das Bergland hinauf und blieb oben auf der Kuppe stehen. Unter ihm, langsam in der faden Dunkelheit sich verlierend, lag die Insel. Hier steige ich morgen bei Tag hinauf, dachte er. Von hier aus müßte man ganz Aimée überblicken können. Er setzte sich auf einen Felsklotz, zog die Beine an und dachte an all die Ereignisse der vergangenen Wochen, angefangen beim plötzlichen Zusammenbruch Volkers auf dem Baldeney-See. Unter ihm donnerte jetzt das Meer in einer bizarren Felsenbucht gegen das Gestein, hinter ihm, wenn er sich umdrehte, breitete sich die Insel aus mit dem grünen Pelz aus Wäldern und Buschwerk.
Wir hätten auch dahinten bauen können, dachte Baumann. Auf der anderen Seite der Insel, weit weg vom Dorf. Völlig allein mit Wind und Meer, Felsen und Palmen, Sand, Vögeln und Fischen. Ich habe es nicht getan, ich habe die Nähe der Menschen gesucht, ich hatte und ich habe Angst, allein zu sein, wenn die Krankheit Volker eines Tages besiegen wird. Wer soll Marga und Claudia trösten? Ich kann es dann nicht mehr, so stark ist kein Mann, daß er seinen Sohn beweint und dann noch Vorbild sein soll für die anderen. Auch Titus Hansen könnte es wahrscheinlich nicht. Allein sein in seinem Schmerz – eine kleine Familie, die dann verbissen zusammenhält und alles aufgegeben hat. Wie einfach ist das alles in der Theorie. Der Mensch braucht den Menschen; das kann man nicht leugnen, auch wenn der Mensch immer und überall, wo er ist, eine Gefahr bedeutet.
Baumann zuckte zusammen, als plötzlich aus der tosenden Felsenbucht dort unten ein dünner scharfer Scheinwerferstrahl über die Küste glitt. In diesem hellen Lichtfinger sah er, wie zerklüftet und ausgehöhlt der Berg hinter ihm war, wie das Meer an der Küste hochbrandete und welche Wellen das Wasser in die Bucht schlug. An der Stelle, wo Baumann jetzt saß, fiel der Berg steil ab. Der Hang war kahl und ohne Bewuchs. Nackter Granit.
Nur Vögel konnten in ihm nisten, Schwärme unzählbarer Möwen und seltener Vogelarten, die nur ein Wissenschaftler benennen konnte.
Das Licht erlosch. Ein zweiter Scheinwerferstrahl flammte auf und wanderte tastend über die Höhlen. Er kam von links, schwenkte dicht über die Wasseroberfläche und blieb dann auf einem Platz stehen, der wie ein Vorsprung aussah oder wie eine ins Wasser hinausragende Plattform, hinter der dunkel, ein gezacktes Loch nur, der Eingang einer Höhle lag.
Zwei unbeleuchtete Schiffe, dachte Baumann und stemmte die Füße gegen den steinigen Grund. Was tun zwei Schiffe in der Nacht an der Küste dieser Insel? Warum tasten sie eine Küste ab, wo man nicht anlegen kann? Wie haben sie es überhaupt geschafft, in diese höllische Bucht hineinzukommen? Sie tun das nicht zum erstenmal, das ist klar. Und da sie es nachts tun, ist das Sonnenlicht gewiß nicht ihr Freund.
Hat Rank etwa schon wieder recht? Es gibt keine Paradiese mehr, auch Aimée ist nur von Menschen bewohnt. Er rührte sich nicht, er starrte nur hinab in den schäumenden Gischt und beobachtete, wie die beiden Schiffe vorsichtig, mit tastenden Lichtfingern, sich dem Steinplateau näherten. Es
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