Die Nacht des Zorns - Roman
einfach war, da das Labor nicht für die Analyse von Taubenfesseln bezahlt wird. Es ist übrigens ein Täuberich. Hat Voisenet gesagt.«
Lieutenant Voisenet hatte seine Berufung zum Zoologen verfehlt, auf gebieterischen Befehl eines Vaters, der ihn ohne jede Diskussion in die Polizei gesteckt hatte. Voisenet war auf Fische spezialisiert, Meeres- und vor allem Flussfische, und auf seinem Schreibtisch stapelten sich die Zeitschriften für Ichthyologie. Aber er war auch sehr bewandert auf vielen anderen Gebieten der Fauna, von Insekten bis zu Fledermäusen, auf dem Umweg über das Gnu, und dieses Wissen lenkte ihn zum Teil von seinen dienstlichen Pflichten ab. Der Divisionnaire, der von dieser Entartung erfahren hatte, hatte ihm eine Abmahnung erteilt wie zuvor schon dem Lieutenant Mercadet, der an Hypersomnie litt. Doch wer in dieser Brigade, fragte sich Adamsberg, hatte nicht seineMacke? Es sei denn Retancourt, aber deren Fähigkeiten und Energien wichen ebenfalls etwas von der Norm ab.
Nachdem die Polizistin gegangen war, stand Zerk mit hängenden Armen da, den Blick noch immer auf die Tür gerichtet.
»Sie hat dich beeindruckt, was?«, meinte Adamsberg. »Sie beeindruckt jeden beim ersten Mal. Und alle folgenden Male auch.«
»Sie ist sehr schön«, sagte Zerk.
Adamsberg sah seinen Sohn erstaunt an, denn Schönheit war nun gewiss nicht das vorherrschende Merkmal von Violette Retancourt. Ebenso wenig Anmut und Feingefühl, oder Liebenswürdigkeit. Sie war in allen Punkten das Gegenteil zum zarten und zerbrechlichen Liebreiz, der sich mit ihrem Vornamen, dem Veilchen, verband. Obwohl ihr Gesicht fein gezeichnet war, war es doch eingerahmt von breiten Wangen und mächtigen Kieferknochen, die auf einem Stiernacken ruhten.
»Wie du meinst«, sagte Adamsberg zustimmend, denn er hatte keine Lust, über den Geschmack eines jungen Mannes zu streiten, den er noch nicht kannte.
Wie er sich auch über seine Intelligenz noch keine feste Meinung gebildet hatte. Besaß er eine oder nicht? Oder ein wenig? Eines beruhigte den Kommissar: dass die meisten Leute sich auch über seine, Adamsbergs Intelligenz noch immer nicht im Klaren waren, nicht mal er selbst. Er stellte sich keine Fragen darüber, warum also sollte er sich über die Intelligenz von Zerk den Kopf zerbrechen? Veyrenc hatte ihm versichert, dass der Junge begabt sei, doch Adamsberg hatte noch nicht bemerkt, wofür.
»Die Verwegene Armee, sagt dir das was?«, fragte Adamsberg, während er den Korb mit der Taube vorsichtig auf die Anrichte stellte.
»Die was?«, fragte Zerk und machte sich daran, denTisch zu decken, die Gabeln rechts und die Messer links vom Teller, genau wie sein Vater.
»Ach, lass es. Wir werden Danglard danach fragen. Das gehört zu den Dingen, die ich deinem Bruder schon mit sieben Monaten beigebracht habe. Die ich auch dir beigebracht hätte, wenn ich dich in dem Alter gekannt hätte. Es gibt drei Regeln zu beachten, Zerk, und damit bist du aus dem Schneider: Wenn man eine Sache nicht bis zum Ende durchstehen kann, muss man Veyrenc fragen. Wenn einem etwas Schwieriges nicht gelingt, muss man Retancourt fragen. Und wenn man etwas nicht weiß, muss man Danglard fragen. Diese drei Dinge musst du verinnerlichen. Aber heute Abend wird Danglard ziemlich sauer sein, ich weiß nicht, ob wir da viel aus ihm rauskriegen. Veyrenc kehrt in die Brigade zurück, und das wird ihm nicht schmecken. Danglard ist ein Luxusgeschöpf und wie jeder seltene Gegenstand zerbrechlich.«
Adamsberg rief seinen dienstältesten Stellvertreter an, während Zerk das Abendessen servierte. Gedünsteten Thunfisch mit Zucchini und Tomaten, dazu Reis, zum Nachtisch Früchte. Zerk hatte darum gebeten, eine Zeitlang bei seinem neuen Vater wohnen zu dürfen, und die zwischen ihnen geschlossene Übereinkunft sah vor, dass er für das Abendessen sorgte. Was leicht umzusetzen war, denn Adamsberg war nahezu gleichgültig gegenüber dem, was er aß, er konnte ewig den gleichen Teller Pasta hinunterschlingen, wie er auch ständig das Gleiche anzog, Jacke und Hose aus schwarzem Leinen, wie immer das Wetter war.
»Danglard weiß wirklich alles?«, fragte der junge Mann und runzelte die Brauen, die ebenso buschig waren wir die seines Vaters, bei dem sie eine Art urwüchsiges Vordach über seinem verschwommenen Blick bildeten.
»Nein, es gibt viele Dinge, die er nicht weiß. Er weiß nicht, wie man eine Frau findet, obwohl er seit zwei Monaten eine neue Freundin hat, was schon ein
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