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Die Nacht des Zorns - Roman

Die Nacht des Zorns - Roman

Titel: Die Nacht des Zorns - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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ich verstehe es nicht.«
    »Er ist der Mörder von Ordebec, Léo.«
    »Auch von Herbier?«
    »Von Herbier und einigen anderen.«
    Léone tat einen langen Zug aus ihrer Zigarette, die leicht zitterte.
    »Louis? Mein kleiner Louis?«
    »Ja. Wir haben heute Abend viel Zeit, darüber zu reden, wenn Sie mich zum Essen dabehalten. Ich übernehme auch die Zubereitung.«
    »Eine Suppe wäre gut, mit viel Pfeffer drin. Hier haben sie keinen Pfeffer.«
    »Mache ich. Doch sagen Sie mir: Warum haben Sie ihn ›Eylau‹ genannt? Und nicht Louis?«
    »Das war sein Kosename, als er ein Knirps war«, sagte Léo mit jenem sich verändernden Blick, wenn plötzlich die Vergangenheit hochkommt. Es war ein Scherz seines Vaters, der ihm eine Trommel geschenkt hatte, aber ein Scherz, bei dem er sicher schon eine militärische Zukunft seines Sohnes im Auge hatte. Das hat sich gehalten, bis er fünf Jahre alt war: die kleine Trommel von Eylau, der kleine Eylau. Habe ich ihn tatsächlich so genannt?«
     
    Zur gleichen Zeit platzte in den Medien die Bombe der Affäre Clermont-Brasseur und sorgte für einigen Wirbel. Man fragte sich begierig, ob die beiden Brüder nach dem Verbrechen gedeckt worden waren. Allerdings ohne die Frage weiter zu vertiefen. Auch ohne sich noch lange bei der Verhaftung des jungen Mohamed aufzuhalten. Die ganze Aufregung würde nicht lange dauern. Noch ein paar Tage, und die Affäre würde heruntergespielt werden und danach in Vergessenheit geraten, genau wie Hippo, der beinahe in den Gänsebrunnen gestürzt war.
    Schockiert und ernüchtert zugleich lauschte Adamsberg den Nachrichten aus Léos verstaubtem kleinen Radio. Er hatte eingekauft, hatte eine Gemüsesuppe püriert, ein angemessen leichtes Abendessen für einen Rückkehrer aus dem Krankenhaus vorbereitet. Obwohl er sich dachte, dass Léo etwas Deftigeres, ja sogar Fetteres sehr viel lieber gewesen wäre. Wenn er sich nicht täuschte, würde der Abend bei Calvados und Zigarre enden. Adamsberg überließ das Radio sich selbst und zündete für Léos Heimkehr ein Feuer im Kamin an. Die Hundstage waren mit dem Mörder gegangen, das leidgeprüfte Ordebec kehrte zu seinen frostigen Temperaturen zurück.

57
    Über einen Monat später, an einem Mittwoch, nahm Danglard in der Brigade eine sorgfältig verschlossene und mit zwei Griffen versehene stabile Kiste entgegen, die ein Sonderkurier überbrachte. Er ließ sie durch den Scanner laufen, der einen rechteckigen Gegenstand zeigte, der zwischen zwei Brettern eingeschlossen und fest in Holzwolle verpackt war. Er hob die Kiste vorsichtig an und stellte sie behutsam auf Adamsbergs Schreibtisch. Er, Danglard, hatte es nicht vergessen. Gierig betrachtete er die Lieferung, strich zärtlich über die raue Oberfläche der Kiste, war versucht, den Deckel anzuheben. Die Vorstellung, dass ein Gemälde aus der Schule von Clouet nur wenige Zentimeter vor ihm lag, versetzte ihn geradezu in Fieber. Er richtete es so ein, dass Adamsberg ihm begegnen musste, wenn er kam.
    »Es steht ein Paket in Ihrem Büro.«
    »Gut, Danglard.«
    »Ich glaube, es ist der Clouet.«
    »Der was?«
    »Das Bild des Grafen. Schule von Clouet. Das Kleinod, das Juwel, eines Menschen Trost.«
    »Gut, Danglard«, sagte Adamsberg noch einmal, als er bemerkte, dass ein ungewöhnlicher Schweiß das plötzlich gerötete Gesicht des Commandant netzte.
    Bestimmt hatte Danglard schon geraume Zeit darauf gewartet. Er selbst hatte seit jenem Abend in der Schlossbibliothek nicht mehr an das Bild gedacht.
    »Seit wann ist es da?«
    »Fast zwei Stunden.«
    »Ich war bei Tuilot Julien. Sie sind bereits beim Kreuzworträtselwettstreit für Fortgeschrittene angekommen.«
     
    Adamsberg öffnete die Kiste ein bisschen grob, dann begann er unter Danglards angstvollem Blick mit bloßen Händen die Holzwolle herauszunehmen.
    »Richten Sie bloß keinen Schaden an, verdammt noch mal! Sie haben ja keine Ahnung!«
     
    Es war das versprochene Bild. Adamsberg legte es in die instinktiv ausgestreckten Hände von Danglard und lächelte in mimetischer Reaktion über das tiefe Glück, das aus den Zügen des Commandant strahlte. Das erste, seit er ihn in diesen Kampf mit dem Wütenden Heer hineingezogen hatte.
    »Ich vertraue es Ihnen an, Danglard.«
    »Nein!«, schrie Danglard fast, völlig verwirrt.
    »Doch, doch. Ich bin ein Bauer, ein Bergmensch, ein Wolkenschaufler, ja, ein Banause, wie Émeri gesagt hat. Und das stimmt. Bewahren Sie es für mich auf, bei Ihnen wird es sehr viel

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