Die Nacht gehört dem Drachen (German Edition)
besser.«
»Vielleicht.«
Amy ermahnt mich nicht, positiv zu denken, lächelt mich aber optimistisch an. »Ich drücke dir weiter die Daumen«, sagt sie.
Ich stelle mir vor, Nacht für Nacht ruhig schlafen zu können. Ich stelle mir vor, dass ich lebhafte und sonderbare Träume vom Drachen habe, dass ich mich beim Erwachen gelassen und ausgeruht fühle und nicht wie in der Falle sitzend oder als hätte ich die ganze Nacht verzweifelt gegen das Dunkel gekämpft.
Wir nehmen in diesem Semester Hamlet durch, aber ich freue mich komischerweise nicht darauf. Ich habe stattdessen ein Gefühl wie Sand unter der Haut. Irgendetwas an dem Stück beunruhigt mich.
»Stört dich etwas, Evie?«, fragt Miss Winters.
»Hm?«, brumme ich, und dann wird mir klar, dass ich eine Grimasse gezogen habe, weil mir das Stück ein so ungutes Gefühl gibt. »Äh. Nein. Ich habe nur nachgedacht.«
Irgendjemand – wahrscheinlich Sonny Rawlins – rülpst hinten in der Klasse. Miss Winters tut, als habe sie nichts bemerkt. »Worüber denn?«, fragt sie arglos. Sie findet es ebenso merkwürdig wie ich, dass ich mit diesem Stück nicht klarkomme. Wir haben es sogar während ihrer Besuche bei mir beiseitegelegt und uns dem Sturm zugewandt. Ich gehe zwar wieder zur Schule und habe Anschluss an den Lernstoff gefunden, aber Miss Winters hat sich erboten, unseren »Extra-Unterricht« fortzusetzen, weil sie es schade findet, dass ich mich in Englisch oft langweile, obwohl ich doch so gern lese. Ich bin mir jedoch sicher, dass dies etwas ist, das mir die eher therapeutischen Aspekte ihrer Besuche versüßen soll.
»Na ja … ich bin nur … ich finde es ätzend, dass Hamlet ständig rumjammert«, sage ich und bin sowohl überrascht als auch erfreut, als die ganze Klasse auflacht. »Ich meine … ich kann ja verstehen, dass er frustriert und wütend ist und sich hilflos fühlt. Aber warum jammert er so viel? Entweder er nimmt ein Opfer auf sich, um seinen Vater zu rächen, oder er tut es eben nicht. Warum zaudert er die ganze Zeit, anstatt eine Entscheidung zu treffen?«
Miss Winters lächelt. »Was denken die anderen?«, fragt sie.
Aber die anderen weichen ihrem Blick aus. Sie denken nicht, jedenfalls nicht an Hamlet. Ich stütze das Kinn auf eine Hand und schaue aus dem Fenster, wohlwissend, dass Miss Winters mich wahrscheinlich nicht rügen wird, wenn ich mich einem Tagtraum hingebe.
Die Englischstunde vergeht ungewohnt zäh. Beim Klingeln springen Lynne und Phee auf, bevor ich auch nur den Kopf heben kann. Ich folge ihnen langsam, während sie über eine Fernsehserie plaudern, die ich nicht mag, und sich darüber beschweren, dass es nur im Fernsehen Jungs zum Verlieben gibt – abgesehen von einigen Elftklässlern, die aber sowieso nicht an Achtklässlern interessiert sind. Lynne muss lachen, weil Phee mit lebhafter Miene gestikuliert. Lynne hakt sich, ohne weiter darüber nachzudenken, bei ihr unter. Ich verlangsame meine Schritte, schaue ihnen nach, als sie im Flur davongehen, sich einen Weg durch die Menge bahnen.
Phee und Lynne waren schon eng befreundet, als ich an diese Schule kam. Unser Klassenlehrer bat sie, sich um mich zu kümmern. Ich frage mich manchmal, ob es das ist, was unsere Freundschaft ausmacht: Ich trotte ihnen nach, und sie bemitleiden mich ein wenig. Ja, ich weiß, dass sie mich mögen – ich bilde mir jedenfalls nicht ein, dass sie mich eigentlich hassen und es nur gut verbergen können –, aber manchmal denke ich, dass sie mindestens ebenso glücklich wären, wenn ich ihr Duo nicht immer in ein Trio verwandeln würde. Sie sagen mir selbstverständlich nicht, dass ich mich verpissen und sie allein lassen soll; meine Gesellschaft ist ihnen nicht egal, aber wer möchte immer nur toleriert werden, egal wie freundlich?
Ich versuche zwar, nicht zu oft darüber nachzudenken, aber nach allem, was in letzter Zeit passiert ist, habe ich das deutliche Gefühl, dass sich ein Riss zwischen uns auftut, der mir sagt: Du bist nicht erwünscht, und du warst es auch nie, denn du passt nicht zu uns. Phee und Lynne bilden eine Einheit, und ich bin irgendwie außen vor und trotte hinterher.
Sie stehen schon vor dem Bioraum, als ich sie wieder einhole. Sie haben die Köpfe zusammengesteckt und schmieden Pläne für den Abend.
»Darf ich auch kommen?«, frage ich.
Beide blinzeln mich überrascht an. Ich behalte ihre Augen im Blick.
»Wir schauen aber die ganze erste Staffel«, sagt Lynne.
»Wir hätten nicht mit dir
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