Die Nacht gehört dem Drachen (German Edition)
Rippen nicht einmal im Traum möglich ist.
Ich bleibe auf dem Gartenweg, gehe leise zum Wald am Ende des Gartens und trete in das Dunkel zwischen den Bäumen, tauche vor dem ungepflasterten Treidelpfad wieder daraus auf.
Obwohl ich unendlich froh über den Drachen bin, ertappe ich mich dabei, nach links zu blicken. Ich kann nicht anders. Von hier sind es nur sieben Meilen bis zum Dorf, in dem Fionas Eltern wohnen. Mit dem Auto dauert es ewig – so lange, dass ich mich nicht fürchte –, aber wenn man dem Fluss folgen oder mit dem Fahrrad am Kanal entlangfahren würde …
»Nach rechts?«, frage ich, obwohl ich mich unbewusst nach links neige, als würden das Haus und seine Bewohner eine Art Anziehungskraft auf mich ausüben. Schwer zu sagen, ob es sich bei dem Gefühl, das mich erfüllt, um Sehnsucht, Wut, Furcht oder Kraft handelt, doch es drängt mich, im Dunkeln auf dem Treidelpfad dorthin zu radeln, klammheimlich … Was will ich mir damit beweisen? Ich würde nur hasserfüllt vor dem Haus stehen. Ich wippe auf den Hacken nach hinten, als wäre die Anziehungskraft plötzlich verpufft. Dann erbebe ich und verdränge das Gefühl, dass sich mein Drachentraum in einen Albtraum zu verwandeln beginnt.
Sobald du wieder genug Kraft hast, können wir alles tun, was du willst , flüstert der Drache, und ich weiß, dass er nicht auf meine Frage anwortet, sondern auf das, was mich im Innersten bewegt.
»Nach rechts«, sage ich, dieses Mal fest entschlossen.
Der Drache verstärkt seinen Griff auf meiner Schulter, und ich spüre seine kräftigen Klauen auf der Haut.
Brackwasser glänzt im Graben zwischen den Feldern, als sich ringsumher die Welt auftut. Ich kann den Atem des Drachen als warmen Hauch auf meinem Hals fühlen.
Hier , befiehlt der Drache, und ich biege vom Pfad in das Gehölz am Rand eines Feldes ein.
Das Gras ist hoch, aber sogar die Brombeerranken, an denen ich hängenbleibe, halten mich nicht auf. Ich kann vor mir die Silhouette einer Mauer erkennen, die Ruine eines kleinen Gebäudes, und dahinter im Mondschein, der immer wieder durch die Wolken blitzt, sehe ich einen dunklen, stillen Teich. Im Schilf ragt eine einsame, spät erblühte Nachtkerze auf, ihre glockenförmigen Blütenkelche sind von geisterhaft fahlem Grün.
Ich lasse mich auf einem moosbewachsenen, umgestürzten Baum nieder, spüre ein Kribbeln wie das von aufsteigenden Tränen, und mich erfüllt ein sonderbares Gefühl, das sowohl tiefes Glück als auch Trauer darüber sein könnte, dass alles Schöne so flüchtig ist.
Der süßliche Duft von gefallenem, langsam vermoderndem Laub erfüllt die Luft. Dazu ein beißender Hauch von Feuern, angereichert mit Holzkohle. Der Gestank faulenden Schilfs. Und die Ausdünstung trägen Wassers, das einen Geruch von Kupfer und Eisen mit sich bringt.
Im Teich regt sich etwas. Er schlägt kreisförmige Wellen, die auf dem Wasser in tanzende Schatten zerbrechen. Die kahlen Äste der Bäume ragen über mir auf wie lange, schwarze Dornen, an denen die Wolken hängenbleiben und in Fetzen gehen, und während sie sich weiterschleppen, erinnern ihre Wundränder im Mondschein an Blut, das in Wasser wölkt: eine Rotte in Fetzen liegender Ungeheuer nach der anderen, die einander am Himmel jagen. Aber wenn sie am Mond vorbeiziehen, leuchten sie zuerst cremefarben und golden und danach lila und grünlich auf und lassen Regenbogen am Rand der Dunkelheit schimmern.
Der Drache und ich sprechen weder auf dieser Lichtung noch auf dem Heimweg ein Wort. Und auch nicht, als ich durch das Fenster wieder in mein Schlafzimmer klettere. Ich setze den Drachen auf den Nachttisch, entkleide mich und stelle die feuchten Turnschuhe ganz hinten in den Schrank, ziehe meinen Pyjama an und lege mich ins Bett. Obwohl meine Brust spannt, rolle ich mich auf die Seite.
»Wie soll ich dich nennen?«, frage ich, während Rauch aus den Nüstern des Drachen über mich hinwegzieht.
Muss ich einen Namen haben? , fragt der Drache. Bin ich denn nicht einmalig?
Ich lächele, und während ich einschlafe, hallt diese Frage in meinem Kopf nach.
Als ich erwache, besteht der Drache wieder aus Knochen, ist hart und leblos. Ich mag nicht nachschauen, ob meine hinten im Schrank stehenden Turnschuhe feucht sind.
»Du wirkst ausgeschlafen!«, sagt Amy, als ich in die Küche komme.
»Keine Albträume«, erwidere ich und stecke einen Toast ein.
»Das freut mich, mein Liebes. Deine Rippen sind heil, und vielleicht schläfst du ab jetzt immer
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