Die Nacht im Stau (German Edition)
Gesagte zu Herzen, doch das Ergebnis war gleich null. Im Grunde genommen wollte Robert ja, dass sie sich regelmäßig trafen. Genau so, wie sie es auch wollte. Ein einziges Mal war sie länger an der PH geblieben, um an einer Abendveranstaltung teilzunehmen. Da saß sie dann unkonzentriert dabei, dachte die ganze Zeit an ihren Freund und was der jetzt wohl machte und auch Robert hatte tagelang danach noch wegen diesem Abend herum gestichelt.
Schon nach kurzer Zeit waren sie wieder im alten Fahrwasser angelangt und Reibereien waren an der Tagesordnung.
Wenn s ie doch nur nicht so feige wäre, schalt sie sich beim nächsten großen Streit. Warum beendete sie nicht einfach die Beziehung? Das hatte doch wirklich keinen Sinn mehr!
Inzwischen litt i hr Studium mehr und mehr unter der psychischen Belastung. Oft fiel es ihr schwer, den Vorlesungen zu folgen, weil ihre Gedanken immer noch am Knatsch des Vorabends hingen oder aber sie hing stundenlang über einer Lektüre und fragte sich am Ende, was sie eigentlich gerade gelesen hatte.
Warum nur hatte sie diese immens große Angst vor dem Alleinsein?
Wenn sie ehrlich war, kannte sie die Antwort. Viele ihrer Freundinnen waren inzwischen verlobt und steuerten zielstrebig auf ihre Hochzeit zu. Wenn sie sich jetzt von Robert trennen würde – wer konnte denn sagen, ob sie noch einen anderen, besseren fände? Vielleicht würde sie als Mauerblümchen übrig bleiben, als alte Jungfer enden! Das war es, was sie am meisten schreckte. Da war es doch allemal besser mit Robert zusammenzubleiben. Alle ihre Freundinnen waren in festen Händen: Helga ging mit Wolfgang, Simone war mit Max zusammen, und sie eben mit Robert. So einfach war das. Und ihr Robbie war doch wirklich im Grunde ein ganz arg Lieber, redete sie sich ein, mal abgesehen von diesen Kleinigkeiten.
Nun ja , auch ihre Gespräche blieben an der Oberfläche, es fehlte ganz einfach der Tiefgang. Das war ein Punkt, den Sonja ganz massiv zur Seite schob, denn sie wusste: Darin würde es keine Lösung geben. Robert hatte nun mal mit sechzehn die Schule verlassen, während sie noch drei weitere Schuljahre und dann das Studium angehängt hatte. Da klaffte das Wissen eben ziemlich auseinander.
Was sie in letzter Zeit allerdings vermehrt vermisste, war Roberts Zärtlichkeit. Das, was die Beziehung bisher immer noch getragen hatte, fehlte nun auch. Schuld daran waren wohl die schmerzhaften Verletzungen, die sie sich in den letzten zwei Jahren gegenseitig zugefügt hatten. Dazu kam der Alltag, die Gewohnheit. Der Reiz den Neuen, des Frischverliebtseins fehlte! Wie schön wäre es, wenn Robert abends, beim Abholen, wieder einmal so wie früher zu ihr sagen würde: „Du, ich hab mich so gefreut auf dich. Du siehst heute super gut aus.“ Doch auf Sätze wie diese hoffte sie in letzter Zeit vergeblich.
Und dann lernte sie diesen Kommilitonen an der PH kennen. Dieter. Fünfzehn Jahre älter. Ein ewiger Student. Ihr erstes Zusammentreffen: Er sprach sie in der Mensa an. Der gemeinsame Spaziergang im Favoritepark, das sich anschließende Essen. Sie war wie im Rausch. Innerhalb weniger Tage erlebte sie eine Gefühlsexplosion wie noch nie. Weitere Spaziergänge folgten, geheime Verabredungen, das Prickeln des Verbotenen und schließlich – ein geplantes Wochenende in Schwäbisch Hall.
Sonjas Gefühle bewegten sich zwischen Himmel und Hölle. E inerseits war es wunderschön, wenn sie mit Dieter zusammen war. Ein gebildeter Mann. Sie konnte zu ihm aufschauen und von ihm lernen. Er war so viel reifer als sie, so stark, und dabei zärtlich und verständnisvoll. Er verstand so viel von Psychologie. Sie glaubte, wirklich in ihn verliebt zu sein.
Doch da war auch das Verantwortungsgefühl Robert gegenüber. Er vertraute ihr, so wie sie ihm. Sie wollte sein Vertrauen auf keinen Fall enttäuschen, das würde gegen ihre hehren Prinzipien verstoßen. Sie würde ihn nicht betrügen. Der einzige saubere Weg war, ihm die Trennung vorzuschlagen. Er hatte ja immer wieder davon gesprochen, wie unwohl er sich in dieser frühen Bindung fühlte. Sicher wäre er froh, wenn sie ihm die Entscheidung abnähme, dann wäre er endlich wieder frei. Davon, dass es da einen Neuen gab, musste er ja nichts erfahren, das würde ihm nur unnötig wehtun.
Sonja richtete es so ein, dass sie beim nächsten Spaziergang mit Robert an einer Bank in der Nähe des Neckars vorbei kamen, von der sie wusste, dass sie dort ungestört sprechen konnten.
Auf dem Weg dorthin
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