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Die Nacht in Issy

Die Nacht in Issy

Titel: Die Nacht in Issy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Borell
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Pistole auf. Der Lauf war noch ein wenig warm. Sicherlich hatte mich der Mörder entdeckt und war Hals über Kopf davongelaufen.
    Ich steckte die Pistole ein, und als es oben auf der Straße ruhig war, schlich ich hinauf. Weit und breit war kein Mensch zu sehen.
    Ich ging durch den Parc d’Issy, bis ich an dem kleinen Schloß zu einer Laterne kam. Dort zählte ich zunächst das Geld. Es waren fast hunderttausend Francs!
    Und dann schaute ich mir die Pistole an. Es war eine belgische FN, Kaliber 7,65! Ich traute zuerst meinen Augen nicht, aber es stimmte. Es war die gleiche Pistole, die ich heute abend in Gustaves Tasche gefunden hatte. Und während ich durch die schmalen Straßen stadteinwärts ging, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Hatte nicht Gustave erzählt, daß er den Mann, der ihn verpfiffen hatte, tödlich hasse? Und war nicht eine Verbindungslinie von Gustave über Pierre zu Alexandre?
    Mir fiel ein Stein vom Herzen, daß ich niemals in der ganzen Zeit mit Gustave über Alexandre gesprochen hatte. Ich nahm mir vor, ihm gegenüber auch kein Wort darüber zu verlieren.
    Mich quälte ein schrecklicher Durst, aber ich ging an zwei Lokalen vorüber. Endlich, beim dritten, konnte ich nicht mehr widerstehen und trat ein.
    Weiß Gott, ich hatte heute abend Pech mit diesen Kneipen. Diesmal war ich in eine geraten, in der an allen Tischen gespielt wurde. Außerdem war das Publikum derart, daß ich fürchtete, nochmals einen Bekannten von Lyon zu treffen. Aber zum Umkehren war’s zu spät. Man musterte mich auffällig. Ich durfte mich keinesfalls verdächtig machen. Im Hintergrund des Lokals entdeckte ich eine kleine Bar, wie sie seit dem Krieg modern geworden sind.
    Ich bestellte mir einen Gespritzten. Gierig trank ich ihn aus, und dann bestellte ich den zweiten.
    Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob es wirklich so heiß und schwül war; ich schwitzte jedenfalls wie ein Pferd, und mein Durst ließ nicht nach. Ich verspürte auch plötzlich Hunger und bestellte mir ein ordentliches Steak. Und trank dazu.
    Einer kam auf mich zu und klopfte mir auf die Schulter.
    »Was ist? — Ein kleines Spielchen?«
    »Was denn?«
    »Baccarat.«
    »Chemin de fer? — Mit herumgehender Bank?«
    »Aber nein, — A deux côtés — « er grinste, »wir sind doch solide.«
    »Gut«, sagte ich, »aber ich verspiele höchstens fünfzig Francs.«
    »Einverstanden.«
    Ich setzte mich zu ihnen und spielte mit. Herrgott — das Leben ist schön, wenn man ein freier Mensch ist und Geld in der Tasche hat! — Ob inzwischen jemand Alexandre schon gefunden hat? Ach ja, morgen wird es in der Zeitung stehen. Bin neugierig, was sie schreiben werden.
    »Eine Neun!« sagte ich.
    Ich hatte gewonnen.
    »Wer zum ersten Male gewinnt, gibt eine Runde aus.«
    Ich ließ eine Runde kommen und trank. Ich hatte früher oft gelesen, daß man mit Alkohol unangenehme Dinge hinunterspülen kann; einen Dreck kann man! Alles bleibt nicht nur da, sondern wird immer deutlicher. Ich sah dauernd Alexandre vor mir im Scheinwerferlicht liegen und hörte den ekelhaften Krach am Garagentor.
    Ich gewann nochmals, dann verlor ich, gewann wieder und verlor. Ich verlor eine ganze Weile und trank.
    »Hundert Francs«, sagte ich, »das ist aber das letzte, dann höre ich auf.«
    »Einverstanden.«
    Plötzlich kam mir ein absonderlicher Gedanke.
    »Ich fahre jetzt«, dachte ich, »zu Germaine«. »So«, werde ich zu ihr sagen, »mein Kindchen, ich habe eben deinen Geliebten umgebracht. Und jetzt bist du dran. Ich habe lange keine Frau mehr im Arm gehabt. Komm — spreize dich nicht lange, ich hab’ für dich nicht viel Zeit. Wir sind ja schließlich keine Kinder mehr.«
    Ich stand auf.
    »Es reicht mir, ich will jetzt gehen!«
    Großes Geschrei.
    »Du hast gewonnen — eine Revanche!«
    »Gut«, sagte ich, »noch eine Revanche, aber dann ist endgültig Schluß.«
    Wir machten noch eine Partie, dann zahlte ich und ging. Dieses lumpige Steak und die paar Glas Gespritzten hatten mich ein ganz schönes Geld gekostet.
    Draußen auf der Straße fielen sie dann über mich her. Ich hätte natürlich den Mund halten sollen; aber wer macht nicht einmal einen Fehler? Ich schrie aus Leibeskräften um Hilfe und hörte gleich darauf eine Trillerpfeife. Die Polypen mußten ganz in der Nähe gewesen sein.
    Wir rannten alle zusammen davon, aber die Polizei war schnel1er. Weiß der Teufel, woher sie kamen und wieso es plötzlich vier waren. Sie hielten uns fest und schleppten uns zur Wache.

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