Die Nacht in Issy
langsam auf und reichte ihm die Hand.
»Ich danke Ihnen, Inspektor Lamin!«
Er drückte sie mir flüchtig. »Keine Ursache, Monsieur Bouchard. Ich wünsche Ihnen alles Gute!«
»Danke! — Und — wäre es möglich, daß ich sie — sehen kann?«
»Im Augenblick noch nicht, Monsieur Bouchard, leider! Aber vielleicht schon morgen.«
»Gut. — Nochmals vielen Dank!«
Er hatte sich erhoben und ging mir voraus zur Tür, wo der Polizist noch wartete.
Lamin gab ihm ein Papier.
»Monsieur Bouchard ist frei und wird sofort entlassen«, befahl er.
Der Polizist nickte und forderte mich mit einer Handbewegung auf, ihm zu folgen.
»Na«, sagte er auf der Treppe, »mal wieder Glück gehabt, wie?«
»Ja.«
»Hm — man ist schnell drin, und man kommt schwer wieder raus, ha, ha!«
»Ja.«
Ich bekam unten meine Sachen. Auch die Quittungen waren dabei.
Ich zählte mein Geld und fand, es müsse noch für ein Taxi reichen.
Ich fand bald eins und setzte mich vorn neben den Fahrer.
»Bitte zur Rue de Rivoli, gleich am Place de la Bastille.«
Vielleicht wäre es gut gewesen, wenn ich mich schon vorher um Marcel Meunier gekümmert hätte; ich hatte seine Anschrift aus einem alten Adreßbuch, und auf der Fahrt bekam ich Bedenken, ob er noch da wohnte.
Kurz vor der Bastille ließ ich halten. Meine Befürchtungen waren grundlos; Dr. Marcel Meunier hatte seine Rechtsanwaltskanzlei im ersten Stock.
Auf mein Klingeln öffnete ein junges, hübsches Mädchen.
»Ich möchte Doktor Meunier sprechen!« sagte ich.
»Sind Sie bestellt oder angemeldet?«
»Weder — noch.«
Sie zog die Augenbrauen hoch und musterte mich kurz.
»Dann wird es heute kaum möglich sein«, sagte sie, »Doktor Meunier ist mit Arbeit sehr überlastet.«
»Sagen Sie ihm meinen Namen: ich heiße Jean Bouchard.«
Sie schaute mich groß an, und ihr Mund öffnete sich ein wenig, aber dann verschwand sie sehr rasch.
Es dauerte nicht länger, als man zum Anzünden einer Zigarette braucht, als sie wiederkam.
»Doktor Meunier läßt bitten.«
Ich betrat sein Büro. Ich hätte ihn auf der Straße nicht wiedererkannt. Er war sehr dick geworden, und seine Haare waren grau.
Er hatte an einem unwahrscheinlich großen Schreibtisch gesessen; nun stand er auf und kam mir einen Schritt entgegen.
»Monsieur Bouchard?«
»Ja. Das hatten Sie wohl nicht erwartet?«
Er schloß die gepolsterte Tür hinter sich.
»Setzen Sie sich doch bitte!« forderte er mich auf und schob mir einen Klubsessel zurecht.
»Vielen Dank!« sagte ich, »ich möchte nicht lange bleiben. Und was ich zu sagen habe, sage ich lieber im Stehen. — Hier, schauen Sie sich das mal an!«
Ich legte die Quittungen von Carrel Patisse auf seinen Tisch. Er nahm sie in die Hand, dann holte er ein Monokel aus der Westentasche und prüfte sie.
»Das war der Zeuge — damals — , wenn ich mich recht erinnere.«
»Ja«, sagte ich, »auf seine Aussage hin wurde ich verurteilt. Alexandre überwies ihm jeden Monat Geld dafür.«
»Ich sehe — ich sehe«, murmelte er, »das ist — «
»Daran ist nichts mehr zu ändern, Doktor Meunier. Vielleicht hätte es nichts geschadet, wenn Sie damals den Zeugen — na ja, es ist vorbei.«
»Wir greifen den Fall wieder auf«, sagte er eifrig, »selbstverständlich werden Sie rehabilitiert. Aber da ist doch — «
Er brach ab und blickte mich fragend an.
»Nein«, sagte ich, »da ist sonst nichts mehr. Ich wurde gerade wegen erwiesener Unschuld entlassen. Mademoiselle Germaine Mignard hat Alexandre erschossen. Der Kriminalinspektor meinte, es sei aus Notwehr geschehen. Und das ist der Grund, weshalb ich hier bin. Sie müssen mir helfen. Sie müssen Mademoiselle frei bekommen.«
»Hm — «, machte er, »ich müßte den Fall erst mal studieren.«
»Bitte, tun Sie das! Meiner ist ganz unwichtig; aber Germaine muß freikommen, verstehen Sie?«
»Ich will alles tun, was — «
»Nein«, sagte ich, »tun Sie etwas mehr! Vielleicht haben Sie das Bedürfnis, in meinem Fall etwas Besonderes zu tun; ich könnte mir das jedenfalls denken. Tun Sie es für Germaine!«
»Ich glaube, wir könnten das besser im Sitzen besprechen.«
Ich nickte und setzte mich. Und dann erzählte ich ihm die ganze Geschichte.
Als ich geendet hatte, sagte er:
»Wenn es sich wirklich so verhält, bekomme ich sie frei. Sie können sich darauf verlassen.«
»Wird es lange dauern?«
»Ich hoffe nicht.«
»Ich warte nämlich auf Germaine.«
»Ich verstehe.«
»Das wäre alles«, fuhr ich
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