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Die Nacht in Issy

Die Nacht in Issy

Titel: Die Nacht in Issy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Borell
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eine Weile. Es waren noch ziemlich viel Leute unterwegs. Ich versuchte mir vorzustellen, was nun in Issy los sein könnte. Polizeiautos, Scheinwerfer, Kriminalbeamte, Pressereporter.
    Als wir auf der Höhe des Boulevard Raspail angekommen waren, jagte ein Polizeiauto in südlicher Richtung an uns vorbei.
    »Die haben’s wieder wichtig«, sagte Gustave böse, und dann fuhr er fort: »Es scheint, daß uns beiden heute nicht alles so hinausgegangen ist, wie wir dachten.«
    »Ja«, sagte ich, »scheint so.«
    »Es ist zum Speien«, schimpfte er, »da plagt man sich wochenlang und knobelt alles aus, und dann ist nicht das drin, was man gemeint hat. Ich hab’ jetzt die Schnauze voll und arbeite weiter in den Hallen, wenn — «
    Er brach ab, und ich vollendete in Gedanken den Satz: ... wenn sie dich nicht erwischen, Gustave.«

3

    Dedé klapperte mit dem Wassereimer und schob die Herdringe auf der Platte hin und her.
    Das war immer ihre diskrete Art, mich morgens zu wecken.
    Während sie mit ihrem Mann in dem einzigen Bett schlief, hatten sie mir eine Matratze unter dem Fenster auf den Boden gelegt. Wochentags stand Gustave schon um fünf Uhr auf, weil seine Arbeit in den Hallen um sechs begann. Meistens hörte ich ihn nur im Halbschlaf fortgehen, Dedé weckte mich sonst nie vor acht Uhr.
    Ich setzte mich auf. Gustave saß in Hemd und Unterhosen am Tisch.
    »Guten Morgen«, sagte ich, »mußt du heute nicht zur Arbeit?«
    »Ist doch Samstag«, brummte er.
    Richtig, es war Samstag!
    Ich angelte mir eine Zigarette aus meiner Jacke, die neben mir auf dem Boden lag, und begann zu rauchen.
    Gustave warf mir einen Blick zu, dann stand er auf und sagte: »Ich gehe jetzt eine Zeitung holen.«
    »Bleib nicht zu lange«, sagte Dedé, »das Frühstück ist gleich fertig.«
    Ich ging hinaus und wusch mich.
    Ich muß gestehen, daß ich diesmal selbst neugierig auf Zeitungen war, und ich konnte es kaum erwarten, bis Gustave zurückkam. Am liebsten wäre ich selber hinuntergegangen, um mir einige Blätter zu kaufen.
    Dedé brühte den Kaffee auf. Ich merkte ihr an, daß sie heute besonders schlechter Laune war.
    »Ich habe schon mit Gustave gesprochen«, sagte ich, »und ich gehe heute.«
    »Wird auch höchste Zeit«, brummte sie.
    »Es hat gestern nicht geklappt«, fuhr ich fort, »aber du bekommst bestimmt noch Geld von mir.«
    Sie gab keine Antwort. Der Kaffee duftete köstlich. Es war gewissermaßen der einzige Luxus, den sie sich leistete: es gab bei ihr nur den besten Bohnenkaffee, lieber verzichtete sie aufs Essen.
    Als Gustave zurückkam, setzten wir uns an den Tisch. Er hatte den >Matin< und den >Temps< mitgebracht.
    »Da«, sagte er und schob mir den >Matin< zu, »wird dich auch interessieren.«
    Auf der Titelseite stand nichts von Alexandre Bouchard, natürlich, so rasch konnte das ja auch gar nicht gehen. Ich blätterte gleich weiter bis zu der Spalte »Letzte Meldungen«.
    Hier brachte die Zeitung alles, was sich nachts ereignet hatte, in Schlagworten.
    Und da stand es tatsächlich. Es war nur eine ganz kurze Notiz:

»Alexandre Bouchard, der Generaldirektor der >Union-Motors<, ist heute nacht das Opfer eines Unfalls geworden.
Einzelheiten bringen wir in unserer Abendausgabe.«

    Ich trank meinen Kaffee aus und schielte dabei über die Tasse zu Gustave. Er las aufmerksam einen Artikel, der auf Seite sieben seines Blattes stand.
    Das Opfer eines Unfalls! Es hatte also geklappt! Aber das bedeutete natürlich noch nichts. Vielleicht, wenn nicht die dumme Geschichte mit der Polizei und der Pistole gewesen wäre, hätte ich nichts zu befürchten gehabt. So aber war mir klar, daß es nur kurze Zeit dauern konnte, bis sie mich suchen würden. Vielleicht war in diesem Augenblick schon der Steckbrief unterwegs.
    Ich beobachtete Gustave. Er mußte doch ein wenig erstaunt sein, wenn er von einem Unfall las. Aber sein Gesicht blieb unbeweglich.
    Dedé räumte das Geschirr vom Tisch, und Gustave gab mir seine Zeitung, während er den >Matin< nahm.
    Ich schlug sofort Seite sieben auf, aber ich konnte nicht lesen, weil ich Gustave nicht aus dem Auge ließ. Er blätterte die Zeitung durch, und dann las er die gleiche Spalte, die mich interessiert hatte. Aber er verriet mit keinem Wimpernzucken, daß er über den »Unfall« erstaunt war.
    Im >Temps< fand ich überhaupt nichts über Alexandre Bouchard. Dafür stand auf der Seite, die Gustave gelesen hatte, ein längerer Artikel über einen Einbruch, bei dem es zu einer Schießerei zwischen

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