Die Nacht in mir: Roman (German Edition)
begriff zum ersten Mal, weshalb Fujiwara sie geliebt hatte.
»Wenn das der Fall sein sollte, würde ich es als Ehre betrachten, wenn Sie meinen Rat suchen würden. Aber ich verspreche natürlich gar nichts.«
»Natürlich«, nickte sie und zog dann, plötzlich wieder ganz geschäftsmäßig, einen Umschlag aus ihrer Handtasche. »Das ist für Sie.« Rossokow drehte den Umschlag in seinen Händen, wunderte sich darüber, wie dick er war, und sah sie dann an. »Wenn Sie wollen, können Sie ihn jetzt öffnen. Er enthält Papiere, mit dem einige von Fujiwara-sans Schweizer Bankkonten auf Sie überschrieben werden. Ich nehme an, dass alles damit in Ordnung ist. Aber wenn es irgendwelche Probleme geben sollte, dann sollten Sie sich nicht scheuen, mit mir Verbindung aufzunehmen. Ich werde Ihnen nach besten Kräften behilflich sein.«
»Das ist nicht notwendig«, sagte Rossokow, ohne nachzudenken, ehe ihm bewusstwurde, wie unsinnig sein Protest war.
»Bitte, machen Sie sich keine Sorgen. Er hat es so gewollt.« Rossokow seufzte und steckte den Umschlag in die Innentasche seines Mantels, wo schon das Tagebuch verwahrt war.
»Ich denke, ich werde zum See gehen«, sagte er, und sie blickte einen Augenblick zu dem Waldweg hinüber, der im tiefen Schatten der Bäume lag.
»Ich habe noch etwas mit Ardeth zu besprechen, und dann muss ich nach Calgary abreisen. Ich werde einen Fahrer hierlassen, der Sie nach Hause bringt. Falls wir uns nicht wieder begegnen sollten, wünsche ich Ihnen alles Gute, Rossokow-san. «
»Das wünsche ich Ihnen auch.« Er erwiderte ihre Verbeugung und ging dann auf den Waldweg zu.
Als er aus der dunklen Umarmung der Bäume ans Ufer trat, war der Mond aufgegangen und ruhte auf den Spitzen der fernen Berge. Ein paar vereinzelte Sterne, die hell genug strahlten, um den dünnen Schleier hoch hängender Wolken zu durchdringen, standen über seinem Kopf.
Rossokow trat an den Uferrand und setzte sich. Er konnte die Wellen weich unter sich an die Steine klatschen hören. Irgendwo im Wald rief ein Nachtvogel seinen einsamen Ruf.
Wie seltsam das ist, dachte er. Er hat mir so viel geschenkt. Das Tagebuch, das lange Gespräch am Kamin, sein Vertrauen in meinen Schwertarm und das Allerunwichtigste, einen Teil seines Reichtums. Jedes Einzelne davon wäre mehr gewesen, als ich verdient habe. Und doch ist sein größtes Geschenk an mich das eine, das mir das meiste Leid hätte bereiten sollen. Ich betrauere seinen Tod. Ich bin traurig darüber, dass ich ihn nie besser kennenlernen werde. Ich bin traurig, dass etwas so Altes, Schönes diese Welt verlassen hat.
Aber Fujiwaras Tod war es gewesen, vielleicht mehr noch als das Leben des anderen Vampirs, der den Nebel aufgelöst hatte, in dem er sich, wie es schien, diese letzten Monate bewegt hatte. Während er über der knienden Gestalt gestanden und das schöne, tödliche Schwert gehoben hatte, war etwas in ihm zerplatzt und aufgeflammt, wie ein Stern, der zur Supernova wird.
Ich kann es tun, dachte er mit durchdringender Klarheit. Wenn die Zeit kommt, kann ich es auch tun.
In dem, was Fujiwara getan hatte, lag keine Sünde. Als Kind einer anderen Welt und das Produkt einer völlig anderen Kultur, trug er nichts von der Bürde des Glaubens aus Rossokows Kindheit auf seiner Seele. Da gab es keine Frage von Sünde oder dem Bösen, kein sich Quälen über Verdammnis oder Erlösung. Nicht einmal Verzweiflung oder Niederlage hatte darin gelegen. Nur der Wille hatte existiert, und das Schwert, und der endgültige Augenblick der Selbstbestimmung. Da war nur Ehre.
Er brauchte keine Unsterblichkeit zu erdulden, um die er nie gebeten hatte. Er brauchte nicht zuzulassen, dass das schwarze Loch seiner Bedürfnisse ihn zur Unkenntlichkeit verbog und verzerrte. Er konnte, wenn er das wollte, Fujiwara in jene Region folgen, die vielleicht hinter dem letzten Stich des Messers existierte – oder auch nicht.
Und jetzt, wo er dies wusste, verspürte er nicht mehr den geringsten Wunsch zu sterben. Die Nachtluft war angefüllt mit dem Duft der Pinien. Die Sterne, verborgen hinter ihrem Wolkenvorhang, enthielten Geheimnisse, die er noch nicht einmal angefangen hatte zu begreifen. Selbst die Liebe, die er für Ardeth empfand – kompliziert, konfus und schmerzlich wie sie war –, war süßer, als er das je für möglich gehalten hatte.
Er stand auf und wischte ein paar abgestorbene Grashalme von seinem Mantel. Yamagata hatte die Leiche entfernt. Er wusste nicht, wie die Yakuza
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