Die Nacht Von Lissabon
Allee von Haß gegen den Eingang. Ein Gendarm salutierte. Das war mir lange nicht passiert. Ich grüßte nachlässig und ging in das Konsulat. Der Gendarm machte mir Platz. Man muß ein Mörder sein, dachte ich bitter, um geehrt zu werden.
Ich bekam das Visum sofort, als ich meinen Paß vorlegte. Der Vizekonsul sah mein Gesicht. Meine Hände konnte er nicht sehen. Ich hatte die Handschuhe aus dem Wagen angezogen. ›Rest von Krieg und Nahkampf‹, sagte ich. Er nickte verständnisvoll. ›Wir hatten auch unsere Jahre des Kampfes. Heil Hitler! Ein großer Mann, wie unser Caudillo.‹
Ich kam heraus. Um den Wagen hatte sich ein leerer Raum gebildet. Hinten im Wagen saß ein verängstigter Junge von ungefähr zwölf Jahren. Er drückte sich in die Ecke und war nichts als Augen und an den Mund gepreßte Hände. ›Wir müssen ihn mitnehmen‹, sagte Helen.
›Warum?‹
›Er hat ein Papier, das in zwei Tagen abläuft. Wenn man ihn faßt, schickt man ihn nach Deutschland.‹ Ich spürte jetzt den Schweiß unter meinem Hemd auf dem Rücken. Helen sah mich an. Sie war sehr ruhig.
›Wir haben ein Leben genommen‹, sagte sie auf englisch. ›Wir sollten eines retten.‹
›Hast du ein Papier?‹ fragte ich den Jungen.
Er hielt mir schweigend eine Aufenthaltserlaubnis entgegen. Ich nahm sie und ging in das Konsulat zurück. Es war mir sehr schwer, zurückzugehen; der Wagen draußen schien aus hundert Lautsprechern sein Geheimnis hinauszuschreien. Ich sagte dem Sekretär nachlässig, daß ich ganz vergessen hätte, daß ich noch ein Visum brauche - dienstlich, für eine Rekognition jenseits der Grenze. Er stutzte, als er das Papier sah, lächelte dann, schloß ein Auge und gab mir das Visum.
Ich stieg in den Wagen. Die Stimmung war noch feindseliger geworden. Wahrscheinlich dachte man, ich wollte den Jungen in ein Lager entführen.
Ich verließ die Stadt und hoffte, mein Glück würde halten. Das Steuerrad des Wagens wurde jede Stunde heißer in meiner Hand. Ich fürchtete, daß ich ihn bald verlassen müßte, aber ich hatte keine Idee, was dann geschehen würde. Helen konnte nicht in diesem Wetter auf Schleichpfaden das Gebirge überqueren; sie war zu schwach, und der Verlust des Wagens hätte auch den geisterhaften Schutz durch unsere Feinde gebrochen. Keiner von uns hatte eine Ausreiseerlaubnis aus Frankreich. Zu Fuß war das anders als in einem teuren Wagen.
Wir fuhren weiter. Es war ein sonderbarer Tag. Das Diesseits und das Jenseits schienen abgefallen zu sein in zwei Abgründe, und wir fuhren auf einem schmalen Grat in einer hohen, wolkenverhangenen Landschaft wie in der Kabine einer Seilbahn. Das nächste, womit ich es vergleichen könnte, wäre eines der alten chinesischen Tuschbilder, in denen Reisende zwischen Gipfeln, Wolken und Wasserfallen eintönig dahinziehen. Der Junge kauerte auf dem Rücksitz des Wagens und bewegte sich kaum. Er hatte nichts gelernt in seinem Leben, als allem zu mißtrauen. An etwas anderes erinnerte er sich nicht. Als die Kulturträger des Dritten Reiches seinem Großvater den Schädel einschlugen, war er drei Jahre alt gewesen - als man seinen Vater erhängte, sieben, und neun, als man seine Mutter vergaste -, ein wahres Kind des zwanzigsten Jahrhunderts. Er war irgendwie aus dem Konzentrationslager entkommen und hatte sich allein seinen Weg über die Grenzen gesucht. Hätte man ihn aufgegriffen, wäre er als Deserteur ins KZ zurückgeschickt und gehängt worden. Jetzt wollte er nach Lissabon; ein Onkel sollte dort Uhrmacher sein, hatte ihm seine Mutter gesagt am Abend vor der Vergasung, als sie ihn segnete und ihm die letzten Ratschläge gab.
Es ging alles gut. Niemand fragte an der französischen Grenze nach einer Ausreiseerlaubnis. Ich zeigte nur flüchtig meinen Paß vor und machte die Eintragungen für den Wagen. Die Gendarmen salutierten, der Schlagbaum ging hoch, und wir verließen Frankreich. Einige Minuten später bewunderten die spanischen Zollbeamten den Wagen und wollten wissen, wieviel Kilometer er mache. Ich gab irgendeine Auskunft, und sie begannen, von dem letzten großen Namen eines ihrer Wagen, Hispano-Suiza, zu schwärmen. Ich erklärte, ich hätte einen gehabt, und beschrieb den fliegenden Kranich des Kühlerabzeichens. Sie waren entzückt. Ich fragte, wo ich tanken könne. Sie erklärten, für Freunde Spaniens sei ein spezieller Fonds an Benzin vorhanden. Ich hatte keine Pesetas. Sie wechselten meine Francs um. Mit herzlicher
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