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Die Nacht Von Lissabon

Die Nacht Von Lissabon

Titel: Die Nacht Von Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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mich plötzlich einsamer als je zuvor außerhalb Deutschlands.

    Langsam gewöhnte ich mich daran, daß Schock und fatalistische Apathie abwechselten. Ich gewöhnte mich auch daran, mich sicherer zu wähnen als bisher. Die Gefahr würde größer werden, wenn ich mich Osnabrück näherte, das wußte ich. Dort gab es Leute, die mich von früher kannten.
    Ich kaufte mir einen billigen Koffer und etwas Wäsche und die Dinge, die für eine kurze Reise notwendig sind, um in Hotels nicht aufzufallen. Dann fuhr ich weiter. Ich wußte noch nicht, wie ich mich meiner Frau nähern sollte, und änderte meine Pläne jede Stunde. Ich mußte es auf den Zufall ankommen lassen; ich wußte ja nicht einmal, ob sie nicht ihrer Familie nachgegeben hatte - die stramm für das Regime war - und jemand anderen geheiratet hatte. Nachdem ich die Zeitungen gelesen hatte, war ich nicht mehr sicher, daß jemand lange brauchen würde, um das zu glauben, was er las, besonders dann, wenn er keine Möglichkeit zum Vergleich hatte. Ausländische Blätter waren in Deutschland unter strenger Zensur.
      In Münster ging ich in ein mittleres Hotel. Ich konnte nicht immer nachts aufbleiben und tagsüber irgendwo schlafen; ich mußte riskieren, von einem Hotel in Deutschland bei der Polizei angemeldet zu werden. Kennen Sie Münster?«
      »Flüchtig«, erwiderte ich. »Ist es nicht eine alte Stadt mit vielen Kirchen, in der der Westfälische Friede geschlossen wurde?«
      Schwarz nickte. »In Münster und Osnabrück, 1648. Nach dreißig Jahren Krieg. Wer weiß, wie lange dieser dauern wird!«
      »Wenn er so weitergeht, nicht lange. Die Deutschen haben vier Wochen gebraucht, Frankreich zu erobern.«
      Der Kellner kam und erklärte, das Lokal würde geschlossen. Wir wären die letzten Gäste. »Gibt es kein anderes, das noch offen ist?« fragte Schwarz.
      Der Kellner erklärte, Lissabon sei keine Stadt für viel Nachtleben. Als Schwarz ihm ein Trinkgeld gab, wußte er ein Lokal, ein geheimes, sagte er, einen russischen Nachtklub. »Sehr elegant«, erklärte er.
    »Wird man uns hineinlassen?« fragte ich.
    »Natürlich, mein Herr. Ich wollte nur sagen, daß es
    elegante Frauen dort gibt. Alle Nationen. Deutsche auch.«
    »Wie lange ist der Klub offen?«
      »Solange Gäste da sind. Jetzt sind immer Gäste da. Viele Deutsche jetzt, mein Herr.«
    »Was für Deutsche?«
    »Deutsche.«
    »Mit Geld?«
      »Natürlich, mit Geld.« Der Kellner lachte. »Das Lokal ist nicht billig. Aber sehr unterhaltend. Könnten Sie sagen, daß Manuel von hier Sie geschickt hat? Sie brauchen dann weiter nichts anzugeben.«
    »Muß man denn irgend etwas angeben?«
      »Nichts. Der Portier schreibt einen Phantasienamen für Sie als Mitglied ein. Nur eine Formsache.«
    »Gut.«
      Schwarz zahlte die Rechnung. Wir gingen langsam die Straße mit den Treppen hinunter. Die blassen Häuser schliefen aneinandergelehnt. Aus den Fenstern hörte man das Seufzen, Schnarchen und Atmen von Leuten, die keine Paßsorgen hatten. Unsere Schritte klangen lauter als am Tage. »Das Licht«, sagte Schwarz. »Überrascht es Sie auch so?«
      »Ja. Man ist noch an das verdunkelte Europa gewöhnt. Hier glaubt man, jemand habe vergessen, es abzuschalten, und im nächsten Augenblick müsse ein Fliegerangriff kommen.«
      Schwarz blieb stehen. »Wir haben es geschenkt bekommen, weil in uns etwas von Gott ist«, sagte er plötzlich pathetisch. »Und jetzt verbergen wir’s, weil wir das bißchen Gott in uns morden.«
    »Soviel ich in der Sage Bescheid weiß, bekamen wir das Feuer nicht geschenkt, sondern Prometheus hat es gestohlen«, erwiderte ich. »Dafür vermachten die Götter ihm dann eine chronische Leberzirrhose. Das scheint mir auch besser zu unserm Charakter zu passen.«
      Schwarz sah mich an. »Ich habe das Spotten längst aufgegeben. Die Angst vor großen Worten auch. Solange man spottet und Angst hat, versucht man, die Dinge auf ein kleineres Maß zu bringen als das, was sie haben.«
      »Vielleicht«, sagte ich. »Aber soll man immerfort auf das Unmögliche starren und sagen: es ist unmöglich? Ist es nicht besser, es zu verkleinern und damit einen Streifen von Hoffnung hereinzulassen?«
      »Sie haben recht! Verzeihen Sie mir. Ich vergaß, daß Sie auf der Flucht sind. Wer hat da Zeit, an Proportionen zu denken?«
    »Sind Sie nicht auch auf der Flucht?«
      Schwarz schüttelte den Kopf. »Nicht mehr. Ich gehe zum zweiten Male zurück.«
      »Wohin?« fragte ich

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