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Die Nacht Von Lissabon

Die Nacht Von Lissabon

Titel: Die Nacht Von Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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ich auch mit dem Zuge nach Deutschland fahren sollte; aber ich hatte nicht den Mut. Ich wußte auch nicht, ob man Heimkehrer, selbst solche aus dem früheren Österreich, nicht besonders revidieren würde. Wahrscheinlich hätte man es nicht getan; ich beschloß trotzdem, schwarz über die Grenze zu gehen.
    In Zürich begab ich mich deshalb, wie früher, zuerst zur
    Hauptpost. Am Schalter für postlagernde Sendungen traf man dort meistens Bekannte - Wanderer ohne Aufenthaltsbewilligung, wie man selbst, die einem Informationen geben konnten. Von dort ging ich ins Café Greif- dem Gegenstück zum Café de la Rose. Ich traf verschiedene Grenzgänger, aber keinen, der die Übergänge nach Deutschland genau kannte. Das war verständlich. Wer, außer mir, wollte schon nach Deutschland? Ich merkte, wie man mich anschaute und dann, als man merkte, daß es mir ernst war, vor mir zurückwich. Wer zurückwollte, mußte ein Überläufer sein; denn wer wollte schon zurück, wenn er das Regime nicht auch akzeptierte? Und was würde jemand, der so weit war, sonst noch tun? Wen verraten? Was verraten?
      Ich war plötzlich allein. Man mied mich, wie man jemand meidet, der gemordet hat. Ich konnte auch nichts erklären; mir wurde selbst manchmal so heiß, daß ich vor Panik schwitzte, wenn ich daran dachte, was ich vorhatte; wie hätte ich es da anderen begreiflich machen können?
      Am dritten Morgen kam die Polizei um sechs Uhr früh und holte mich aus dem Bett. Man fragte mich genau aus. Ich wußte sofort, daß einer meiner Bekannten mich angezeigt hatte. Mein Paß wurde mißtrauisch betrachtet, und ich wurde zum Verhör mitgenommen. Es war jetzt ein Glück, daß der Paß gestempelt worden war. Ich konnte so nachweisen, daß ich legal eingereist und erst drei Tage im Lande war. Ich erinnere mich genau an den frühen Morgen, als ich mit dem Beamten durch die Straßen ging. Es war ein klarer Tag, und die Türme und Dächer der Stadt standen scharf, wie aus Metall geschnitten, vor dem Himmel. Aus einer Bäckerei roch es nach warmem Brot, und aller Trost der Welt schien in diesem Geruch zu sein. Kennen Sie das?«
    Ich nickte. »Die Welt erscheint einem nie schöner als in
    dem Augenblick, wenn man eingesperrt wird. Bevor man sie verlassen muß. Wenn man sie nur immer so fühlen könnte! Vielleicht hat man zu wenig Zeit dazu. Zu wenig Ruhe.«
      Schwarz schüttelte den Kopf: »Es hat mit Ruhe nichts zu tun. Ich habe es so gefühlt.«
    »Konnten Sie es halten?« fragte ich.
    »Das weiß ich nicht«, erwiderte Schwarz langsam.
      »Das ist es ja, was ich herausfinden muß. Es ist mir aus den Händen geglitten - aber hatte ich es ganz, als ich es hielt? Kann ich es jetzt nicht vielleicht stärker wieder zurückgewinnen und es für immer halten? Jetzt, wo es sich nicht mehr verändert? Verliert man nicht immerfort, was man zu halten glaubt, weil es sich bewegt? Und steht es nicht still, erst wenn es nicht mehr da ist und sich nicht mehr ändern kann? Gehört es einem nicht erst dann?«
      Seine Augen waren starr auf mich gerichtet. Es war das erstemal, daß er mich voll anblickte. Die Pupillen waren groß. Ein Fanatiker oder ein Verrückter, dachte ich plötzlich.
      »Ich habe es nie gekannt«, sagte ich. »Aber will das nicht jeder? Halten, was nicht zu halten ist? Und verlassen, was einen nicht verlassen will?«
      Die Frau im Abendkleid am Nebentisch stand auf. Sie blickte über die Veranda auf die Stadt und den Hafen hinunter. »Darling, warum müssen wir zurück?« sagte sie zu dem Mann im weißen Smoking.
    »Wenn wir doch hierbleiben könnten! Ich habe gar keine Lust, wieder nach Amerika zu gehen.«

    2

    »Die Polizei in Zürich hielt mich nur einen Tag fest«, sagte Schwarz. »Aber es war ein schwerer Tag für mich. Ich hatte Furcht, daß man meinen Paß kontrollieren würde. Ein Telefongespräch mit Wien konnte schon genügen; ebenso eine Überprüfung der veränderten Daten durch einen Spezialisten.
      Nachmittags wurde ich ruhig. Ich betrachtete das, was geschehen würde, als eine Art Gottesurteil. Die Entscheidung schien mir abgenommen worden zu sein. Steckte man mich ins Gefängnis, so würde ich nicht versuchen, nach Deutschland zu gehen. Aber abends ließ man mich frei und empfahl mir dringend, meine Reise aus der Schweiz hinaus so rasch wie möglich fortzusetzen.
      Ich beschloß, es über Österreich zu tun. Die Grenze dort kannte ich etwas, und sie war sicher nicht so scharf bewacht wie die deutsche.

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