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Die Nacht Von Lissabon

Die Nacht Von Lissabon

Titel: Die Nacht Von Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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zog.
    Ich sah, daß Liebespaare auf den Bänken saßen, die zwischen den Bäumen so aufgestellt waren, daß man den Blick auf den Fluß und die Stadt hatte, und setzte mich auf eine leere Bank, um die halbe Stunde abzuwarten, bevor ich zu Martens gehen konnte.
      Die Glocken des Domes begannen zu läuten. Ich war so erregt, daß ich die Schwingungen körperlich spürte, als wären sie die Folge eines unsichtbaren Tennisspiels zwischen zwei Spielern, die sich die Schwingungen zuwarfen. Ein Spieler war das alte Ich, das ich kannte und das erschauerte und Furcht hatte und nicht nachzudenken wagte über seine Situation - und das andere, das neue, das nicht nachdenken wollte und kühn war und sich selbst riskierte, als könne es gar nichts anderes geben - eine merkwürdige Schizophrenie, bei der noch ein Dritter als Zuschauer dabei war, unparteiisch wie ein Schiedsrichter, passiv, aber mit dem Wunsch, daß das neue Ich gewinnen möge.
      Ich erinnere mich genau an diese halbe Stunde. Ich erinnere mich sogar daran, daß ich erstaunt war, mich selbst so klinisch zu spüren. Es war, als stünde ich in einem Raum, in dem Spiegel sich gegenüber an den Wänden hingen; sie warfen sich mein Bild bis in eine leere Unendlichkeit zu, und hinter jedem Spiegelbild konnte ich ein anderes entdecken, das dem ersten über die Schulter sah. Mir schien, als wären es alte, dunkel gewordene Spiegel, und ich konnte nicht sehen, ob der Ausdruck fragend, traurig oder voll Hoffnung war. Sie verdämmerten alle in silbrigem Dunkel.
    Eine Frau setzte sich neben mich. Ich wußte nicht, was
    sie wollte, und es war mir unbekannt, ob das Regime der Barbaren nicht längst auch diese Dinge schon zu militärischen Übungen degradiert hatte. Ich erhob mich deshalb und ging. Ich hörte die Frau hinter mir lachen und habe es nie vergessen - das leise, etwas verächtliche und mitleidige Lachen dieser unbekannten Frau am Herrenteichswall in Osnabrück.«

    4

    »Das Wartezimmer war leer. Pflanzen mit langen, ledrigen Blättern standen auf einer Etagere am Fenster. Auf dem Tisch lagen Magazine, deren Titelblätter Bonzen des Regimes, Soldaten und eine Abteilung Hitlerjugend beim Marsch zeigten. Dann hörte ich rasche Schritte. Martens stand in der Tür. Er starrte mich an, nahm die Brille ab und blinzelte. Das Licht im Wartezimmer war schwach. Er erkannte mich nicht sofort, wahrscheinlich wegen des Schnurrbartes.
    ›Ich bin es, Rudolf‹, sagte ich.
    ›Josef.‹
      Er hob die Hand, ich solle schweigen. ›Wo kommst du her?‹ flüsterte er.
      Ich hob die Schultern. Wozu war das wichtig? ›Ich bin hier‹, sagte ich. ›Du mußt mir helfen.‹
      Er blickte mich an. Seine kurzsichtigen Augen in dem schwachen Licht wirkten wie die eines Fisches hinter einem dicken Aquariumglas. ›Hast du Erlaubnis, hier zu sein?‹
    ›Nur von mir selbst.‹
    ›Wie bist du über die Grenze gekommen?‹
      ›Das ist doch gleichgültig. Ich bin hierhergekommen, um Helen zu sehen.‹
    Er starrte mich an. ›Dazu bist du gekommen?‹
    ›Ja‹, sagte ich.
    Ich fühlte mich plötzlich ruhig. Ich war es nicht gewesen, solange ich allein war. Jetzt war auf einmal alle Erregung geschwunden, weil ich überlegte, wie ich den überraschten Menschen vor mir beruhigen konnte.
    ›Dazu?‹ fragte er noch einmal.
    ›Ja, dazu. Und du mußt mir helfen.‹
    ›Mein Gott!‹ sagte er.
    ›Ist sie tot?‹ fragte ich.
    ›Nein, sie ist nicht tot.‹
    ›Ist sie hier?‹
    ›Ja. Sie war hier. Wenigstens noch vor einer Woche.‹
    ›Können wir hier sprechen?‹ fragte ich.
      Martens nickte. ›Ich habe die Empfangsschwester weggeschickt. Wenn Patienten kommen, kann ich sie auch wegschicken. Ich kann dich nicht in meine Wohnung nehmen. Ich habe geheiratet. Vor zwei Jahren. Du verstehst -‹
    Ich verstand. Man konnte seit langem im
    Tausendjährigen Reich auch seinen Verwandten nicht mehr trauen. Denunziationen wurden täglich von den Rettern Deutschlands als nationale Tugend herausgeschrien. Ich kannte das selbst. Der Bruder meiner Frau hatte mich denunziert.
      ›Meine Frau gehört nicht zur Partei‹, sagte Martens hastig. ›Aber wir haben nie über einen Fall -‹ er blickte mich verwirrt an ›- gesprochen, wie diesen jetzt hier. Ich weiß nicht genau, wie sie darüber denken würde. Komm hier herein.‹
      Er öffnete die Tür zu seinem Sprechzimmer und verschloß sie hinter uns. ›Laß sie offen‹, sagte ich. ›Ein verschlossenes Sprechzimmer ist verdächtiger,

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