Die Nacht Von Lissabon
öffnen.
›Nicht mehr als notwendig waren‹, erwiderte ich. ›Und keine so wie dich.‹
Sie seufzte und wollte sich umdrehen, aber der Schlaf überwältigte sie wieder, bevor sie es tun konnte. Sie sank zurück. Langsam kam der Schlaf auch über mich, die Träume blieben aus, die Stille und der Atem Helens füllten mich, und gegen Morgen erwachte ich, nichts war mehr zwischen uns, was uns trennte, ich nahm sie, und sie kam willig, und wir fielen zurück in den Schlaf wie in eine Wolke, in der es schimmerte und nicht mehr dunkel war.
6
»Ich telefonierte am Morgen dem Hotel in Münster, in dem ich meinen Koffer gelassen hatte, und erklärte, ich hätte mich in Osnabrück verspätet und würde nachts zurückkommen; man möge das Zimmer für mich halten. Es war Vorsicht; ich wollte nicht wegen Zechprellerei angezeigt und von der Polizei erwartet werden. Eine gleichgültige Stimme antwortete, es sei recht so. Ich fragte, ob Post für mich da sei. Nein, Post sei nicht gekommen.
Ich legte auf.
Helen stand hinter mir. ›Post?‹ sagte sie. ›Von wem erwartest du Post?‹
›Von niemandem. Ich habe es nur gesagt, um unverdächtiger zu erscheinen. Von Leuten, die Post erwarten, nimmt man merkwürdigerweise nicht sofort an, daß sie Schwindler sind.‹
›Bist du einer?‹
›Leider. Gegen meinen Willen. Aber nicht ohne Vergnügen daran.‹
Sie lachte. ›Du willst heute abend nach Münster?‹
›Ich kann doch nicht länger hierbleiben. Dein Mädchen kommt morgen zurück. Und hier in der Stadt kann ich es nicht riskieren, unterzukommen. Der Schnurrbart macht mich nicht unkenntlich genug.‹
›Kannst du nicht bei Martens bleiben?‹
›Er hat mir angeboten, im Sprechzimmer zu schlafen; aber tagsüber kann er mich nicht unterbringen. Es ist besser, nach Münster zu fahren, Helen. Dort werde ich nicht so leicht auf der Straße erkannt wie hier. Es ist nur eine Stunde weit weg.‹
›Wie lange willst du in Münster bleiben?‹
›Ich kann das erst herausfinden, wenn ich da bin. Man entwickelt im Lauf der Zeit eine Art sechsten Sinn für Gefahr.‹
›Spürst du hier Gefahr?‹
›Ja‹, sagte ich. ›Seit heute morgen. Gestern nicht.‹ Sie sah mich mit zusammengezogenen Brauen an. ›Du darfst natürlich nicht ausgehen‹, sagte sie.
›Nicht bevor es dunkel ist. Und dann auch nur, um zum Bahnhof zu kommen.‹
Helen antwortete nicht. ›Es wird schon klappen‹, sagte ich. ›Denke nicht darüber nach. Ich habe gelernt, von einer Stunde zur andern zu leben, ohne zu vergessen, über den nächsten Tag nachzudenken.‹
›Hast du?‹ sagte Helen. ›Sehr praktisch!‹ Sie hatte wieder den Ton leichter Gereiztheit wie am Abend vorher.
›Nicht nur praktisch - notwendig‹, erwiderte ich. ›Aber ich vergesse trotzdem manchmal etwas. Ich hätte einen Rasierapparat aus Münster mitbringen sollen. Heute abend werde ich wie ein Strolch aussehen. Das Vademécum fur Emigranten schreibt vor, das auf jeden Fall zu vermeiden.‹
›Es ist ein Rasierapparat im Badezimmer‹, sagte Helen. ›Der, den du hiergelassen hast vor fünf Jahren, als du weggingst. Es ist auch Wäsche da, und deine alten Anzüge hängen links im Schrank.‹ Sie sagte das, als wäre ich ein Mann, der sie vor fünf Jahren mit einer anderen Frau verlassen hätte und nun allein zurückgekommen wäre, um seine Sachen zu holen und wieder zu gehen. Ich versuchte nicht, es zu berichtigen; es hätte zu nichts geführt. Sie hätte mich nur erstaunt angesehen und erklärt, sie habe nicht daran gedacht, wenn ich aber so denke - und ich wäre in eine sinnlose Verteidigung verheddert worden. Es ist sonderbar, wie krumme Wege wir oft wählen, um nicht zu zeigen, was wir fühlen!
Ich ging in das Badezimmer. Der Anblick meiner alten Anzüge hatte keine andere Wirkung, als daß ich sah, um wieviel dünner ich geworden war. Ich war froh, Wäsche zu finden, und beschloß, genügend davon mitzunehmen. Irgendeine sentimentale Regung spürte ich nicht. Der Entschluß, den ich vor drei Jahren gefaßt hatte, das Exil nicht als ein Unglück, sondern als eine Art von Kaltem Krieg zu nehmen, der nötig wäre zu meiner Entwicklung, trug so wenigstens hier und da Früchte.
Der Tag verging in einem Zwielicht der Gefühle. Die Notwendigkeit abzureisen, verstörte uns beide; aber Helen war es nicht so gewöhnt wie ich. Sie nahm es fast als eine persönliche Beleidigung. Ich war vorbereitet gewesen durch meine Erfahrung
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