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Die Nacht Von Lissabon

Die Nacht Von Lissabon

Titel: Die Nacht Von Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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und durch die Zeit, seit ich Frankreich verlassen hatte; für Helen war die Ankunft noch nicht überstanden, als die Abreise schon auftauchte. Ihr Stolz hatte noch nicht Zeit gehabt zur Versöhnung, als dieselbe Situation sich bereits wiederholte. Dazu kam die Reaktion auf den Abend vorher; die Welle des Gefühls flutete zurück, und alte, untergegangene Trümmer wurden plötzlich wieder sichtbar und schienen größer zu sein, als sie waren. Wir waren vorsichtig miteinander; wir waren einander nicht mehr gewöhnt. Ich wäre gern eine Stunde allein gewesen, um Abstand zu gewinnen; - wenn ich dann aber daran dachte, daß es nicht eine Stunde, sondern der zwölfte Teil der Zeit war, die ich noch mit Helen Zusammensein konnte, schien es mir undenkbar. Früher, in ruhigen Jahren, hatte ich mich manchmal mit der Frage unterhalten, was ich wohl tun würde, wenn ich wüßte, daß ich nur noch einen Monat zu leben hätte. Ich war nie zu einem klaren Ergebnis gekommen. Alles, was ich glaubte, tun zu sollen, war in einer merkwürdigen Polarität zugleich auch das gewesen, was ich auf keinen Fall hätte tun sollen, und so erging es mir jetzt. Anstatt den Tag zu umarmen, mich ihm völlig zu öffnen und Helen in mich aufzunehmen mit allen meinen Sinnen, ging ich umher mit dem brennenden Wunsche, es zu tun und doch mit solcher Vorsicht, als wäre ich aus Glas, und mit Helen schien es nicht anders zu sein. Wir litten und waren voller Ecken und Spitzen, und erst die Dämmerung brachte die Furcht, uns zu verlieren, so nahe, daß wir uns plötzlich wieder erkannten. Um sieben Uhr klingelte es an der Wohnungstür. Ich schreckte auf. Klingeln bedeutete für mich Polizei. ›Wer kann das sein?‹ flüsterte ich.
      ›Laß uns still sein und warten‹, sagte Helen. ›Es wird irgendein Bekannter sein. Wenn ich nicht antworte, geht er weg.‹
      Das Klingeln wiederholte sich. Dann klopfte jemand energisch an die Tür. ›Geh ins Schlafzimmer‹, flüsterte Helen.
    ›Wer ist es?‹
      ›Ich weiß es nicht. Geh ins Schlafzimmer. Ich werde ihn loswerden. Es ist besser, als wenn die Nachbarn aufmerksam werden.‹
    Sie schob mich fort. Ich blickte rasch umher, ob irgend
    etwas von mir herumläge. Dann ging ich ins Schlafzimmer. Ich hörte Helen fragen: ›Wer ist da?‹ und eine Männerstimme antworten. Dann sagte Helen: ›Du bist es? Was ist denn los?‹ Ich zog die Tür zu. Die Wohnung hatte einen zweiten Ausgang durch die Küche, den ich aber nicht erreichen konnte; ich wäre gesehen worden. Ich hatte nur die Möglichkeit, mich in einem eingebauten großen Schrank zu verstecken, in dem Helens Kleider hingen. Es war eigentlich kein Schrank; es war eine große Mauernische, die durch eine Tür abgeschlossen wurde. Ich hatte genug Luft darin.
      Ich hörte, daß der Mann mit Helen ins Wohnzimmer ging. Ich erkannte seine Stimme. Es war ihr Bruder Georg, der mich ins Konzentrationslager gebracht hatte.
    Ich blickte auf Helens Frisiertisch. Das einzige, was ich
    als Waffe gebrauchen konnte, war ein Papiermesser mit einem Jadeknauf; ich sah nichts anderes. Ohne nachzudenken, steckte ich das Messer in meine Tasche und ging in den Schrank zurück. Es war selbstverständlich, daß ich mich wehren mußte, wenn er mich entdeckte, und es gab keinen anderen Weg, als ihn zu töten und dann zu versuchen zu fliehen.
      ›Das Telefon?‹ hörte ich Helen sagen. ›Ich habe nichts gehört. Ich habe geschlafen. Was ist denn los?‹
      Es gibt einen Augenblick in großer Gefahr, wo alles in einem plötzlich so angespannt ist, als könne ein Funke es entzünden, und man würde aufflammen wie Zunder. Man ist dann fast hellsichtig, so rasch und so gleichzeitig denkt man. Ich spürte, bevor ich Georg antworten hörte, bereits, daß er nichts von mir wußte.
      ›Ich habe mehrere Male telefoniert‹, sagte er. ›Kein Mensch hat geantwortet. Auch das Mädchen nicht. Wir dachten, dir wäre was passiert. Weshalb hast du nicht aufgemacht?‹
      ›Ich habe geschlafen‹, sagte Helen ruhig. ›Deshalb hatte ich auch das Telefon abgestellt. Ich habe Kopfschmerzen, und sie sind noch nicht vorbei. Du hast mich aufgeweckt.‹
    ›Kopfschmerzen?‹
    ›Ja. Und sie sind jetzt schlimmer als vorher. Ich habe zwei Tabletten genommen. Ich muß sie ausschlafen.‹ ›Schlaftabletten?‹
      ›Tabletten gegen Kopfschmerzen. Du mußt jetzt gehen, Georg. Ich muß sie ausschlafen.‹
      ›Tabletten sind Unsinn‹, erklärte Georg. ›Zieh dich an und geh mit

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