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Die Nacht Von Lissabon

Die Nacht Von Lissabon

Titel: Die Nacht Von Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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wärest.‹
      ›Ich erröte noch‹, erwiderte ich. ›Aber innerlich und ohne Beschämung. Gib mir etwas Zeit. Ich muß mich noch gewöhnen. Selbst die Raupe muß das, wenn sie nach einem Dasein im Dunkel ans Licht kommt und entdeckt, daß sie Flügel hat. Wie glücklich die Menschen hier sind! Und wie der wilde Jasmin riecht! Die Kellnerin sagt, es gäbe hier ganze Wälder voll davon.‹
    Wir tranken unsern Wein aus und gingen zwischen den
    schmalen Gassen die alte Straße hoch am Berg entlang, die nach Ascona führt. Der Friedhof von Ronco hing voll mit Blumen und Kreuzen über den Weg. Der Süden ist ein Verführer, er wischt die Gedanken weg und macht die Phantasie zur Königin. Sie braucht nur wenig Hilfe zwischen Palmen und Oleander; weniger als zwischen Kommißstiefeln und Kasernen. Wie eine große, rauschende Fahne schwankte der Himmel über uns mit immer mehr Sternen, als wäre er die Flagge eines sich jede Minute erweiternden Amerikas des Universums. Die Piazza von Ascona glitzerte mit ihren Cafés weit in den See hinaus, und der Wind wehte kühl aus den Tälern.
      Wir kamen zu dem Hause, das wir gemietet hatten. Es lag am See und hatte zwei Schlafzimmer; das schien der Moral hier zu genügen. ›Wie lange haben wir noch zu leben?‹ fragte Helen.
      ›Wenn wir vorsichtig sind, für ein Jahr und vielleicht noch für ein halbes Jahr länger.‹
    ›Und wenn wir unvorsichtig leben?‹
    ›Für diesen Sommer.‹
    ›Laß uns unvorsichtig leben‹, sagte sie.
    ›Ein Sommer ist kurz.‹
    ›Ja‹, sagte sie plötzlich heftig. ›Ein Sommer ist kurz, und
    ein Leben ist kurz, aber was macht es kurz? Daß wir wissen, daß es kurz ist. Wissen die Katzen draußen, daß das Leben kurz ist? Weiß es der Vogel? Der Schmetterling? Sie halten es für ewig. Niemand hat es ihnen gesagt! Warum hat man es uns gesagt?‹
    ›Darauf gibt es viele Antworten.‹
    ›Gib eine!‹
      Wir standen im dunklen Zimmer. Die Türen und Fenster waren offen. ›Eine ist, daß das Leben unerträglich wäre, wenn es ewig wäre.‹
      ›Du meinst, es wäre langweilig? Wie das Gottes? Das ist nicht wahr. Gib eine andere!‹
      ›Daß es mehr Unglück als Glück gibt. Und daß es barmherzig ist, es nicht ewig dauern zu lassen.‹
    Helen schwieg einen Augenblick. ›Alles das ist nicht wahr‹, sagte sie dann. ›Und wir sagen es nur, weil wir wissen, daß wir nicht bleiben und nichts halten können, und es gibt keine Barmherzigkeit dabei. Wir erfinden sie nur. Wir erfinden sie, um zu hoffen.‹
    ›Glauben wir nicht trotzdem daran?‹ fragte ich.
    ›Ich glaube nicht daran!‹
    ›An keine Hoffnung?‹
      ›An nichts. Jeder kommt dran.‹ Sie warf heftig ihre Kleider aufs Bett. ›Jeder. Auch der Häftling mit der Hoffnung, selbst wenn er einmal entwischt. Er kommt eben das nächstemal dran!‹
    ›Das ist es ja, worauf er hofft. Nur auf das.‹
      ›Ja. Das ist alles, was wir können! So wie die Welt mit dem Krieg. Sie hofft auf das nächstemal. Aber niemand kann ihn verhindern.‹
    ›Den Krieg schon‹, erwiderte ich. ›Den Tod nicht.‹
    ›Lach nicht!‹ rief sie.
    Ich ging zu ihr. Sie wich zurück, durch die Tür ins Freie.
      ›Was ist mit dir, Helen?‹ fragte ich überrascht. Es war heller draußen als im Zimmer, und ich sah, daß ihr Gesicht von Tränen überströmt war. Sie antwortete nicht, und ich fragte nicht weiter.
      ›Ich bin betrunken‹, sagte sie schließlich. ›Siehst du das nicht?‹
    ›Nein.‹
    ›Ich habe zuviel Wein getrunken.‹
    ›Zu wenig. Hier ist noch eine Flasche.‹
    Ich stellte den Fiasco Nostrano auf einen Steintisch, der auf der Wiese hinter dem Haus stand, und ging in das Zimmer, um Gläser zu holen. Als ich zurückkam, sah ich Helen über die Wiese zum See hinuntergehen. Ich folgte ihr nicht sofort. Ich goß die Gläser voll; der Wein sah schwarz aus im bleichen Widerschein von Himmel und See. Dann ging ich langsam über die Wiese zu den Palmen und den Oleandern hinunter, die am Ufer standen. Ich hatte auf einmal Sorge um Helen und atmete auf, als ich sie sah. Sie stand vor dem Wasser in einer merkwürdig passiven, gebeugten Haltung, als warte sie auf etwas, einen Ruf oder etwas, das vor ihr auftauchen würde. Ich blieb still; nicht um sie zu beobachten, sondern um sie nicht zu erschrecken. Nach einer Weile seufzte sie und richtete sich auf. Dann schritt sie ins Wasser.
      Als ich sah, daß sie schwamm, ging ich zurück und holte ein Frottiertuch und ihren Bademantel.

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