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Die Nacht Von Lissabon

Die Nacht Von Lissabon

Titel: Die Nacht Von Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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Leider wird man nur für höchstens vierzehn Tage eingesperrt, wenn man Ruhe haben will. Dann wird man abgeschoben, und das Grenzballett geht wieder los.«
      »Mein Entschluß, offen über die Grenze zu gehen, hatte etwas in mir befreit«, sagte Schwarz. »Ich fürchtete mich plötzlich nicht mehr. Ein Polizist auf der Straße ließ mein Herz nicht mehr stocken; er gab mir noch einen Schock, aber einen milden, gerade stark genug, daß mir im nächsten Moment meine Freiheit um so mehr bewußt wurde.«
      Ich nickte. »Das erhöhte Lebensgefühl durch die Gegenwart der Gefahr. Ausgezeichnet, solange die Gefahr nur den Horizont belebt.«
    »Meinen Sie?« Schwarz blickte mich sonderbar an.
    »Es geht viel weiter«, sagte er dann. »Es geht bis zu dem, was wir Tod nennen, und darüber hinaus. Wo ist denn der Verlust, wenn man das Gefühl halten kann? Ist eine Stadt nicht mehr da, wenn man sie verläßt? Wäre sie nicht mehr da in Ihnen, auch wenn sie zerstört würde? Wer weiß denn, was Sterben ist? Geht nicht nur ein Lichtstrahl langsam über unsere wechselnden Gesichter? Und müssen wir nicht ein Gesicht gehabt haben, bevor wir geboren wurden, das Gesicht vor allen anderen, das, das bleiben muß nach der Zerstörung der anderen, vorübergehenden?«
      Eine Katze strich um die Stühle. Ich warf ihr ein Stück Fisch hin. Sie hob den Schwanz und wendete sich ab.
    »Sie trafen Ihre Frau in Zürich?« sagte ich vorsichtig
    »Ich traf sie im Hotel. Der Zwang, das Abwarten, das ich in Osnabrück gespürt hatte, die Strategie des Schmerzes und der Beleidigung waren verschwunden und blieben verschwunden. Ich traf eine Frau, die ich nicht kannte und die ich liebte, mit der ich verbunden schien durch neun Jahre lautloser Vergangenheit, über die diese Vergangenheit aber keinerlei einschränkende und besitzende Gewalt mehr hatte. Das Gift der Zeit schien auch bei ihr verdampft zu sein, als Helen die Grenze überschritt. Die Vergangenheit gehörte jetzt zu uns, aber wir nicht mehr zu ihr; statt des drückenden Bildes der Jahre, das sie sonst darstellt, hatte sie sich gedreht und war jetzt ein Spiegel, der nichts mehr spiegelte als uns, ohne Bindung an sie. Der Entschluß, uns herauszureißen, und die Tat selbst trennte uns so entscheidend von allem Früher, daß das Unmögliche Wirklichkeit wurde: ein neues Lebensgefühl, ohne die Runzeln des früheren.«
      Schwarz sah mich an, und wieder huschte der merkwürdige Ausdruck über sein Gesicht. »Es blieb so. Es war Helen, die es hielt. Ich konnte es nicht, besonders nicht dem Ende zu. Aber daß sie es konnte, war doch genug, und darauf kam es an, glauben Sie nicht? Ich muß es nur jetzt auch können, deshalb spreche ich ja mit Ihnen! Ja, deshalb!«
    »Blieben Sie in Zürich?« fragte ich.
      »Wir blieben eine Woche«, sagte Schwarz in seinem früheren Ton. »Wir wohnten in dieser Stadt und in dem Lande, in dem als einzigem in Europa die Welt noch nicht zu schwanken schien. Wir hatten Geld für einige Monate, und Helen hatte Schmuck mitgebracht, den wir verkaufen konnten. Dann waren in Frankreich auch noch die Zeichnungen des toten Schwarz.
      Dieser Sommer 1939! Es war, als hätte Gott der Welt noch einmal zeigen wollen, was Friede ist und was sie verlieren würde. Die Tage waren randvoll mit der Gelassenheit dieses Sommers, und sie wurden unwirklich, als wir später Zürich verließen, um in den Süden der Schweiz an den Lago Maggiore zu gehen.
      Helen hatte Briefe und Anrufe ihrer Familie erhalten. Sie hatte nichts hinterlassen, als daß sie wieder nach Zürich zu ihrem Arzt fahren müsse. Es war leicht für die Familie, bei dem ausgezeichneten Meldesystem der Schweiz, ihre Adresse herauszufinden. Jetzt wurde sie mit Fragen und Vorwürfen überschüttet. Noch konnte sie zurückfahren. Wir mußten uns entscheiden.
    Wir wohnten im selben Hotel; aber wir wohnten nicht
    zusammen. Wir waren verheiratet, aber unsere Pässe lauteten auf verschiedene Namen, und da das Papier siegt,
    konnten wir nicht wirklich zusammenleben. Es war eine
    sonderbare Situation, aber sie verstärkte das Gefühl, daß
    für uns die Zeit noch einmal zurückgedreht war. Wir
    waren nach dem einen Gesetz Mann und Frau - nach dem
    zweiten nicht. Die neue Umgebung, die lange Trennung,
    und vor allem Helen, die sich so sehr verändert hatte, seit
    sie hier war - das alles brachte einen Zustand schwebender
    Nichtwirklichkeit und gleichzeitig leuchtendbeziehungsloser Wirklichkeit hervor, über

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