Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nacht Von Lissabon

Die Nacht Von Lissabon

Titel: Die Nacht Von Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
Vom Netzwerk:
des Wortes - auf der Straße und um das Lager herum bis zum Morgen. Dann wollte ich noch einmal versuchen, als Monteur in das Lager zu gelangen, aber ich sah, daß die Wachen verdoppelt waren und daß ein Zivilist mit Listen dabeisaß.
    Der Tag schien kein Ende zu nehmen. Als ich zum hundertsten Male an den Stacheldrähten vorbeistrich, sah ich plötzlich, etwa zwanzig Schritte davon entfernt, auf meiner Seite, ein Paket, das in eine Zeitung gewickelt war. Es enthielt ein Stück Brot und zwei Äpfel und einen Zettel ohne Unterschrift: ›heute abend‹. Helen mußte es herausgeworfen haben, als ich nicht da war. Ich aß das Brot auf den Knien, so schwach war mir plötzlich. Dann ging ich zu meinem Versteck und schlief. Nachmittags wachte ich auf Es war ein sehr klarer Tag, gefüllt mit goldenem Licht wie mit Wein. Das Laub hatte sich jede Nacht stärker gefärbt. Jetzt standen die Buchen und eine Linde in der warmen Nachmittagssonne, die auf meine Lichtung fiel, so gelb und rot da, als habe ein unsichtbarer Maler während meines Schlafes sie in Fackeln verwandelt, die in einem völlig stillen Licht bewegungslos leuchteten. Nicht ein Blatt rührte sich.«
    Schwarz unterbrach sich. »Bitte werden Sie nicht
    ungeduldig, wenn ich scheinbar unnötige Naturschilderungen mache. Die Natur war so wichtig in all dieser Zeit für uns, wie sie es für Tiere ist. Sie war auch das, was uns nie zurückwies. Wir brauchten keinen Paß und keinen Arierausweis für sie. Sie gab und nahm, aber sie war unpersönlich, und das war wie eine Medizin. An diesem Nachmittag regte ich mich lange nicht; ich fürchtete, ich könne überfließen wie eine Schale, randvoll mit Wasser. Dann sah ich plötzlich, in der vollkommenen Stille, ohne einen Hauch von Wind, Hunderte von Blättern von den Bäumen niederschweben, als hätten sie einem geheimnisvollen Kommando gehorcht. Sie glitten gelassen durch die klare Luft, und einige fielen auf mich nieder. In diesem Augenblick erkannte ich die Freiheit des Todes und ihren ungeheuren Trost. Ich wußte, ohne einen Entschluß zu fassen, daß ich die Gnade hatte, mein Leben beenden zu können, wenn Helen stürbe, daß ich nicht allein zurückzubleiben brauchte, und daß diese Gnade der Ausgleich ist, der dem Menschen gegeben ist für das Übermaß an Liebe, dessen er fähig ist und das über das Maß der Kreatur hinausgeht; - ich erkannte es, ohne zu denken, und während ich es erkannte, war es, in einem fernen Sinne, schon nicht mehr ganz notwendig, zu sterben.
    Helen stand nicht in der Reihe der Klagemauer. Sie kam erst, als die andern fort waren. Sie trug ein Paar kurze Hosen und eine Bluse und reichte mir eine Flasche Wein und ein Paket durch den Draht. In dem ungewohnten Anzug erschien sie sehr jung.
      ›Der Kork ist gezogen‹, sagte sie. ›Hier ist auch ein Trinkbecher.‹ Sie schlüpfte leicht durch die Stacheldrähte. ›Du mußt fast verhungert sein. Ich habe in der Kantine etwas bekommen, was ich seit Paris nicht mehr gesehen habe.‹
      ›Eau de Cologne‹, sagte ich. Sie roch danach, frisch in der frischen Nacht.
      Sie schüttelte den Kopf. Ich sah, daß ihr Haar geschnitten war; es war kürzer als vorher.
      ›Was ist nur passiert?‹ fragte ich, plötzlich ärgerlich. ›Ich habe geglaubt, man hätte dich abgeholt oder du wärest im Sterben, und du kommst wieder, als hättest du einen Schönheitssalon besucht. Hast du auch die Nägel manikürt bekommen?‹
      ›Ich habe es selbst getan.‹ Sie hob die Hände und lachte. ›Laß uns den Wein trinken!‹
    ›Was ist passiert? War die Gestapo da?‹
      ›Nein. Eine Kommission der Armee. Aber es waren zwei Gestapo-Beamte dabei.‹
    ›Haben sie jemand mitgenommen?‹
    ›Nein‹, erwiderte sie. ›Gib mir zu trinken.‹
      Ich sah, daß sie sehr erregt war. Ihre Hände waren heiß, und ihre Haut war so trocken, als müßte sie knistern.
    ›Sie waren da‹, sagte sie. ›Sie kamen, um eine Liste der Nazis im Lager zu machen. Sie sollen nach Deutschland zurückgeschickt werden.‹
    ›Habt ihr viele?‹
      ›Genug. Wir haben nicht geglaubt, daß es so viele wären. Manche haben es nie zugegeben. Eine war dabei, die ich kannte - sie trat plötzlich vor und erklärte, sie gehöre zur Partei, sie habe sich wertvolle Nachrichten verschafft, sie wolle zurück ins Vaterland, man habe sie hier abscheulich behandelt, man solle sie gleich mitnehmen. Ich kannte sie gut. Zu gut. Sie weiß -‹
      Helen trank rasch und gab mir den

Weitere Kostenlose Bücher