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Die Nacht Von Lissabon

Die Nacht Von Lissabon

Titel: Die Nacht Von Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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Becher. ›Was weiß sie?‹ fragte ich.
      ›Ich kann es nicht mehr genau sagen. Es gab so viele Nächte, wenn man redete und redete. Sie weiß, wer ich bin -‹ Sie hob den Kopf ›Ich gehe nie zurück, nie! Ich bringe mich um, wenn sie mich holen wollen.‹
      ›Du wirst dich nicht umbringen, und sie werden dich nicht holen. Warum? Georg ist Gott weiß wo; er erfährt nicht alles. Und wozu sollte die Frau das verraten wollen? Was kann es ihr helfen?‹
    ›Versprich, daß du mich nicht zurückholen läßt.‹
      ›Ich verspreche es dir‹, sagte ich. Sie war zu erregt, als daß ich etwas anderes hätte tun können, als in meiner Ohnmacht Allmacht zu versprechen.
      ›Ich liebe dich‹, sagte sie mit ihrer heiseren, erregten Stimme. ›Ich liebe dich, und was immer auch passieren mag, das mußt du immer glauben!‹
      ›Ich glaube es‹, erwiderte ich und glaubte es und glaubte es nicht.
      Sie lehnte sich erschöpft zurück. ›Wir wollen fliehen‹, sagte ich. ›Heute nacht noch.‹
    ›Wohin? Hast du deinen Paß?‹
    ›Ja. Jemand, der im Büro arbeitete, wo die Papiere der Internierten verwahrt wurden, hat ihn mir gegeben. Wer hat deinen?‹
      Sie antwortete nicht. Sie starrte eine Weile vor sich hin. ›Eine jüdische Familie ist hier‹, sagte sie dann. ›Mann, Frau und Kind. Vor wenigen Tagen gekommen. Das Kind ist krank. Sie traten mit vor. Sie wollen nach Deutschland zurück. Der Hauptmann fragte sie, ob sie nicht Juden wären. Sie wären Deutsche, sagte der Mann. Sie wollten zurück. Der Hauptmann wollte ihnen etwas sagen, aber die beiden Gestapoleute standen dabei. ›Sie wollen wirklich zurück?‹ fragte er noch einmal. ›Schreiben Sie sie auf, Hauptmann‹, sagte einer der Gestapoleute und lachte. ›Wenn sie soviel Sehnsucht nach der Heimat haben, wollen wir ihnen den Gefallen tun.‹ Sie wurden aufgeschrieben. Es ist nicht mit ihnen zu reden. Sie sagen, sie könnten nicht mehr weiter. Das Kind sei schwer krank. Die andern Juden hier würden ohnehin auch bald abgeholt; da sei es besser, sich vorher zu melden. Wir säßen in der Falle. Es sei besser, freiwillig zu gehen. Sie sind wie taube Maulesel. Du mußt mit ihnen reden.‹
    ›Ich? Was kann ich ihnen sagen?‹
      ›Du bist dagewesen. Du warst drüben in einem Lager. Du bist zurückgegangen. Und wieder geflohen.‹
    ›Wo soll ich es ihnen sagen?‹
      ›Hier. Ich hole den Mann. Ich weiß, wo er ist. Sofort. Ich habe es ihm gesagt. Man kann ihn noch retten.‹

    Nach einer Viertelstunde brachte sie einen schmächtigen Mann, der sich weigerte, durch den Stacheldraht zu kriechen. Er stand auf der Lagerseite und ich auf der anderen, und er hörte mir zu. Ein wenig später kam die Frau. Sie war sehr blaß und sprach kein Wort. Man hatte die beiden und ihr Kind vor etwa zehn Tagen aufgegriffen. Sie waren getrennt in verschiedenen Lagern gewesen und dann geflohen, und der Mann hatte die Frau durch ein Wunder wiedergefunden. Sie hatten überall auf den Straßensteinen und an den Häuserecken ihre Namen hinterlassen.«
    Schwarz sah mich an. »Sie kennen die Via Dolorosa?«
      »Wer kennt sie nicht! Sie reicht von Belgien bis in die Pyrenäen.«
    Die Via Dolorosa war zu Beginn des Krieges entstanden.
    Nach dem Einbruch der deutschen Truppen in Belgien und dem Durchbruch der Maginotlinie hatte die große Flucht eingesetzt, zuerst mit Automobilen, beladen mit Hausrat und Betten, dann mit jeder Art von Vehikeln, mit Fahrrädern, mit Pferdekarren, mit Karren, die von Menschen gezogen wurden, mit Kinderwagen, und schließlich in endlosen Reihen zu Fuß, dem Süden zu verfolgt von Stuka-Bombern, durch den Hochsommer Frankreichs. Auch die Flucht der Emigranten, dem Süden zu, begann. Damals entstanden die Straßenzeitungen. An den Mauern der Straßen, an Häusern in Dörfern, an den Ecken der Kreuzungen wurden die Namen und Hilferufe von Menschen, die sich suchten, von ihnen angeschrieben, mit Kohle, mit Kreide, mit Farbe. Die Emigranten, die bereits seit Jahren flüchteten und sich vor der Polizei versteckten, hatten außerdem eine Kette von Stützpunkten, die von Nizza bis Neapel und von Paris bis Zürich reichte. Es waren Leute, die dort wohnten und Nachrichten vermittelten, Adressen austauschten, Rat gaben und bei denen man auch ein paar Nächte unterkommen konnte. Durch ihre Hilfe hatte der Mann, von dem Schwarz sprach, seine Frau und sein Kind wiedergefunden, etwas, was sonst schwieriger gewesen wäre, als die sprichwörtliche

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