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Die Nacht Von Lissabon

Die Nacht Von Lissabon

Titel: Die Nacht Von Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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Stecknadel in einem Heuhaufen zu finden.
    »›Wenn wir bleiben wollen, werden wir wieder getrennt‹, erklärte der Mann mir«, sagte Schwarz. »›Dies ist ein Frauenlager. Wir sind zusammen eingeliefert worden, aber nur für ein paar Tage. Man hat mir schon mitgeteilt, daß ich anderswohin käme, in eines der Männerlager. Wir könnten es nicht ertragen.‹ Er hatte alles überlegt; es sei besser so. Fliehen könnten sie nicht; das hätten sie versucht. Sie wären fast dabei verhungert. Jetzt sei das Kind krank, die Frau erschöpft - und er selbst habe keine Kraft mehr. Es sei besser, freiwillig zu gehen; wir andern seien nur noch wie Vieh in den Hallen eines Schlachthofes. Man würde uns nach Bedarf und Laune holen. ›Weshalb hat man uns nicht gehen lassen, als es noch Zeit war?‹ sagte er zum Schluß, ein sanfter, schmaler Mann mit einem schmalen Gesicht und einem kleinen, dunklen Schnurrbart. Niemand hätte eine Antwort darauf gewußt. Man wollte uns zwar nicht haben, aber man wollte uns auch nicht gehen lassen - das war im Zusammenbruch einer Nation ein geringfügiges Paradox, dem wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde von denen, die es hätten ändern können.

    Am folgenden Nachmittag kamen zwei Lastwagen die Straße herauf. Im gleichen Augenblick sah ich, wie der Stacheldraht lebendig wurde. Etwa ein Dutzend Frauen halfen einander beim Hindurchkriechen. Sie schwärmten in den Wald. Ich hielt mich versteckt, bis ich Helen bemerkte. ›Wir sind gewarnt worden von der Präfektur‹, sagte sie. ›Die Deutschen sind da, die abzuholen, die zurück wollen. Man weiß nicht, was sonst noch passiert; deshalb ist uns erlaubt worden, uns im Walde zu verstecken, bis sie weg sind.‹
    Es war das erste Mal, daß ich sie am Tage sah, abgesehen von dem Augenblick auf der Straße. Ihre langen Beine und ihr Gesicht waren braun; aber sie war sehr dünn. Die Augen waren zu groß und zu glänzend, und das Gesicht war zu schmal. ›Du gibst mir dein Essen und hungerst selbst‹, sagte ich.
      ›Ich habe genug zu essen‹, erwiderte sie. ›Dafür ist gesorgt. Hier -‹ sie steckte die Hand in die Tasche, ›da ist sogar ein Stück Schokolade. Gestern konnten wir Pate de foie gras und Sardinen in Büchsen kaufen. Aber kein Brot.‹
      ›Geht der Mann, mit dem ich gesprochen habe?‹ fragte ich.
    ›Ja -‹
      Helens Gesicht zuckte plötzlich. ›Ich gehe nie zurück‹, sagte sie dann. ›Nie! Du hast es mir versprochen! Ich will nicht, daß sie mich fangen!‹
    ›Sie werden dich nicht fangen.‹
      Die Wagen fuhren nach einer Stunde wieder ab. Die Frauen sangen. Verweht klang es herüber: Deutschland, Deutschland über alles.
      In dieser Nacht gab ich Helen einen Teil des Giftes, das ich in Le Vernet bekommen hatte.
      Einen Tag später wußte sie, daß Georg erfahren hatte, wo sie war.
    ›Wer hat es dir gesagt?‹ fragte ich.
    ›Jemand, der es weiß.‹
    ›Wer?‹
    ›Der Arzt des Lagers.‹
    ›Woher weiß er es?‹
    ›Von der Kommandantur. Dort ist angefragt worden.‹
    ›Hat der Arzt gesagt, was du tun sollst?‹
      ›Er kann mich ein paar Tage in der Krankenbaracke verstecken. Nicht lange.‹
    ›Dann mußt du aus dem Lager heraus. Von wem kam
    gestern die Warnung, daß die von euch, die gefährdet seien, sich im Wald verstecken sollten?‹
    ›Vom Präfekten.‹
      ›Gut‹, sagte ich. ›Sieh zu, daß du deinen Paß und einen Entlassungsschein von hier bekommst. Vielleicht kann der Arzt dir helfen. Wenn nicht, dann fliehen wir. Mach fertig, was du mitnehmen willst. Sage niemand etwas. Niemandem! Ich werde versuchen, mit dem Präfekten zu sprechen. Er scheint ein Mensch zu sein.‹
      ›Tu es nicht! Sei vorsichtig! Um Gottes willen, sei vorsichtig!‹
      Ich reinigte meinen Monteuranzug, so gut es ging, und verließ morgens den Wald. Ich mußte damit rechnen, deutschen Patrouillen oder französischen Gendarmen in die Hände zu laufen; aber damit mußte ich von jetzt an immer rechnen.
      Es gelang mir, vor den Präfekten zu kommen. Ich bluffte einen Gendarmen und einen Schreiber, indem ich als deutscher Techniker auftrat, der Auskunft haben wollte über die Errichtung einer elektrischen Leitung für militärische Zwecke. Wenn man das Unvermutete tut, kommt man manchmal durch, das hatte ich gelernt. Als Flüchtling hätte mich der Gendarm sofort festgenommen. Diese Sorte Menschen reagiert am besten auf Anschreien.
    Dem Präfekten sagte ich die Wahrheit. Er wollte mich zuerst hinauswerfen.

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