Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nacht Von Lissabon

Die Nacht Von Lissabon

Titel: Die Nacht Von Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
Vom Netzwerk:
Fahrer. Ich blickte auf. Es war Helen. Sie stand hinter dem Soldaten und starrte mich an und hielt den Finger auf den Mund. Sie trug Hosen und einen Sweater und war sehr dünn.
      ›Sehen Sie einmal nach‹, wiederholte sie und ließ mich an sich vorbeigehen. ›Vorsicht!‹ murmelte sie. ›Tu so, als verständest du etwas! Nichts ist kaputt.‹
      Der Soldat schlenderte hinter uns her. ›Wo kommst du her?‹ flüsterte sie. Ich öffnete die knarrende Motorhaube. ›Geflohen. Wie kann ich dich treffen?‹
    Sie beugte sich mit mir über den Motor. ›Ich kaufe für die Kantine ein. Übermorgen. Sei im Dorf! Im ersten Café links. Um neun Uhr morgens.‹
    ›Und vorher?‹
    ›Dauert’s lange?‹ fragte der Soldat.
      Helen holte ein Paket Zigaretten aus ihrer Hosentasche und hielt es ihm hin. ›Nur ein paar Minuten. Nichts Wichtiges.‹
      Der Soldat zündete seine Zigarette an und setzte sich an den Straßenrand. ›Wo?‹ fragte ich Helen, über den Motor gebeugt. ›Im Wald? An der Umzäunung? Ich war gestern da. Heute abend?‹
      Sie zögerte einen Augenblick. ›Gut. Heute abend. Ich kann nicht vor zehn Uhr.‹
    ›Warum nicht?‹
      ›Dann sind die andern weg. Also um zehn. Und sonst übermorgen früh. Sei vorsichtig.‹
    ›Wie sind die Gendarmen hier?‹
      Der Soldat kam heran. ›Nicht so schlimm‹, sagte Helen auf französisch. ›Sofort fertig.‹
    ›Es ist ein alter Wagen‹, erklärte ich.
      Der Soldat lachte. ›Die neuen haben die Boches. Und die Minister. Fertig?‹
    ›Fertig‹, sagte Helen.
      ›Gut, daß wir Sie getroffen haben‹, erklärte der Soldat. ›Ich verstehe von Autos nur, daß sie Benzin brauchen.‹
      Er kletterte auf den Wagen. Helen folgte ihm. Sie schaltete ein. Wahrscheinlich hatte sie nur die Zündung abgestellt gehabt. Der Motor lief. ›Danke‹, sagte sie und lehnte sich aus dem Sitz zu mir herunter. Ihre Lippen formten unhörbare Worte. ›Sie sind ein erstklassiger Fachmann‹, sagte sie dann und fuhr an.
    Ich stand ein paar Sekunden in dem blauen Ölrauch. Ich empfand fast nichts, so wie man raschen Wechsel von großer Hitze und Kälte als dasselbe empfindet. Dann, langsam, während ich mechanisch weiterging, begann ich zu denken, und mit dem Denken kam die Unruhe und die Erinnerung an das, was ich gehört hatte, und die leise, zitternde, bohrende Qual des Zweifels.
      Ich lag im Walde und wartete. Die Klagemauer, wie Helen die Frauen nannte, die still und blind in den Abend sahen, lichtete sich. Bald waren die meisten fort, zurückgehuscht. Es wurde dunkel. Ich starrte auf die Pfeiler der Einzäunung. Sie wurden zu Schatten, und dann erschien zwischen ihnen ein neuer dunkler Schatten. ›Wo bist du?‹ flüsterte Helen.
    ›Hier!‹
      Ich tastete mich zu ihr hinüber. ›Kannst du heraus?‹ fragte ich.
    ›Später. Wenn alle weg sind. Warte.‹
    Ich schlich zurück in das Gehölz, gerade weit genug, um
    nicht gesehen zu werden, wenn jemand eine Taschenlampe auf den Wald richten würde. Ich lag auf dem Boden und roch den starken Geruch des toten Laubes. Ein schwacher Wind kam auf, und um mich raschelte es, als kröchen tausend Spione auf mich zu. Meine Augen gewöhnten sich mehr und mehr an die Dunkelheit, und ich sah jetzt Helens Schatten und darüber ungewiß ihr bleiches Gesicht, dessen Züge ich nicht erkennen konnte. Sie hing wie eine schwarze Pflanze mit einer weißen Blüte im Stacheldraht, und dann wieder schien sie eine dunkle namenlose Figur aus dunklen Zeiten zu sein, und gerade daß ich ihr Gesicht nicht erkennen konnte, machte es zu allen Gesichtern aller Leidenden der Welt. Ein Stück weiter weg erkannte ich eine zweite Frau, die ebenso wie Helen stand, und dann eine dritte und eine vierte weiter weg - sie standen wie ein Fries von Karyatiden, die einen Himmel von Trauer und Hoffnung trugen.
    Es war fast unerträglich, und ich blickte fort. Als ich
    wieder hinsah, waren die anderen drei lautlos verschwunden, und ich sah, daß Helen sich bückte und am Stacheldraht zerrte. ›Halt ihn auseinander‹, sagte sie. Ich trat auf den unteren Draht und hob die nächsten an.
    ›Warte‹, flüsterte Helen.
    ›Wo sind die anderen?‹ fragte ich.
      ›Zurück. Eine ist eine Nazi. Ich konnte deshalb nicht früher durch. Sie hätte mich verraten. Die, die weinte.‹
      Helen zog ihre Bluse und ihren Rock aus und reichte sie mir durch den Draht. ›Sie dürfen keine Risse bekommen‹, sagte sie. ›Ich habe keine anderen

Weitere Kostenlose Bücher