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Die Nacht von Sinos

Die Nacht von Sinos

Titel: Die Nacht von Sinos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Higgins
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Politik verleidet?« »Schon sehr früh. Natürlich wurde ich mit dem ganzen Heldenquatsch erzogen. Wir hatten sein Foto auf dem Kaminsims stehen, einen Rosenkranz am Rahmen und immer eine brennende Kerze davor. Meine Mutter hat ihn bis zum Tag ihres Todes geliebt. Arme Frau, es ist ihr nicht leichtgefallen, mir den Eintritt in die britische Armee zu verzeihen.« »Aber Sie hat Ihnen verziehen?«
    »Schließlich doch.« Ich zögerte, weil ich spürte, daß hier etwas gesagt werden mußte. »Es ist nicht so, daß ich ihn hasse oder nicht an das denken will, was er getan hat. Ich weiß, daß jeder Mann das tun muß, was er für richtig hält. Ich bin nur der Meinung, daß wir ihn viel dringender gebraucht hätten als diese verdammt edle Sache.«
    Sie strich mir sanft übers Gesicht. »Armer Kerl. Sie lieben ihn immer noch sehr, Sie haben ihn immer geliebt, und es tut weh, das zugeben zu müssen.«
    Sie hatte den Nagel genau auf den Kopf getroffen. »Ja, so ungefähr«, murmelte ich.
    »Aber jetzt wollen wir keinen Trübsinn mehr blasen. Es ist viel zu schön, viel zu schön.«
    Wir hatten die Klippe beinahe erreicht und die Boote weit hinter uns gelassen. Die Nacht war warm, die Luft leicht und aromatisch. Sie blieb stehen, und ich legte ihr den Arm um die Taille. Sie hob den Kopf, da gab ich ihr einen zärtlichen Kuß. Sie trat ein Stück zur Seite, breitete die Arme aus und drehte sich im Kreis. »Ach, was geht's mir gut. Ich fühle mich so lebendig, hundert Prozent lebendig.«
    Sie stand da, die Hände in die Hüften gestützt und lächelte mich an. »Weißt du, was wir jetzt tun?« fragte sie plötzlich. »Wir feiern die Tatsache, daß wir am Leben sind. Wir gehen schwimmen, und dann darfst du mich lange lieben.«
    Sie zog schon den Reißverschluß an ihrem Rock auf. Als sie ihn zu Boden sinken ließ, sagte ich rasch: »Ich glaube, das sollten wir nicht tun, Sarah. Nach der Hitze des Tages ist das Wasser verdammt kalt. Das wäre nicht gut für dich.«
    Sie wurde plötzlich sehr still, stand regungslos im Mondlicht da und hielt den Rock in der linken Hand.
    »Du weißt es«, flüsterte sie. »Du weißt es. Aber woher?«
    »Aleko«, sagte ich.
    Was nun aus ihr hervorbrach, war schlimmer, als ich es in mancher Kaserne oder Hafenkneipe zu hören bekommen hatte. Sie stieg wieder in den Rock, zog ihn hoch und zerrte am Reißverschluß.
    »Hör mir zu, Sarah.« Ich griff nach ihr. »Nur einen Augenblick.«
    Sie stieß mich mit dem rechten Arm zurück. »Kein Mitleid, Savage. Willst du wirklich wissen, worum es mir ging? Nur um dich, von Anfang an. Und darum, daß du mich haben wolltest. Ich wollte mich hingeben, dich spüren, eins mit dir werden, etwas Warmes in der Dunkelheit fühlen. Es war nicht einmal nötig, daß du mich liebst. Das hätte ich ertragen, wenn ich gewußt hätte, daß du mich ehrlich und wahrhaftig begehrst. Aber jetzt nicht, jetzt ist alles vorbei. Jetzt würde ich immer meinen, daß es aus Mitleid geschieht, und dafür bin ich zu stolz.«
    Sie drehte sich um, rannte davon und verschwand im Schatten. Ich ließ sie gehen.
    Ich glaube, wenn Aleko in Reichweite gewesen wäre, hätte ich ihm ein Messer zwischen die Rippen gestoßen. Einen solchen Zorn empfand ich, nachdem sie fort war. Zorn auf die Welt, auf das Leben, auf seine sinnlose Grausamkeit, am meisten aber Zorn auf Aleko. Natürlich war es absurd, ihn verantwortlich zu machen, aber das war besser für sie und besser für mich.
    Doch jetzt brauchte ich vor allem etwas zu trinken. Ich ging den Strand entlang, zurück zum Hafen. Jemand hatte neben den Booten einen Haufen Treibholz angezündet. Es roch nach gebratenem Hummer. Ich hörte Lachen, ein junges Mädchen von sechzehn oder siebzehn Jahren rannte an mir vorbei, ein ungefähr gleichaltriger Bursche setzte ihr nach.
    Sie bemerkten mich gar nicht, ich war ein Schatten im Dunkel und sah eine Weile der Gruppe am Feuer zu. Dabei kam ich mir ausgestoßen und einsam vor.
    Dann mußte ich wieder an sie denken. Plötzlich wurde mir klar, daß Sarah genauso fühlte. Auch unter Menschen war sie allein, sie trug das Kainszeichen, und es gab keinen Ausweg für sie. Sie war wirklich einsam.
    Ich hatte nicht mehr geweint, seit ich ein kleiner Junge war, das war damals bei der Beerdigung meines Großvaters. Ich hörte Pater Fallons klare, sanfte Stimme, das Poltern der Erdklumpen auf dem Sarg.
    Das war lange her. Seltsam, aber jetzt spürte ich denselben Klumpen im Hals und meine Augen brannten. Ich

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