Die Nacht von Sinos
und es war eine Ironie des Schicksals, daß ich sie verloren hatte.
Ciasim schien die Wahrheit zu fühlen.
»Für mich wendet sich das Glück, Jack«, sagte er. »Jetzt werden wir herrlich essen und gut trinken. Ich lade dich ein.«
Wir taten es. Er bestellte Spezialitäten aus Korfu, seiner Heimat, und spülte sie mit zwei Flaschen Demestica hinunter. Betrunken hatte ich ihn noch nie gesehen, aber an diesem Abend war er zumindest angeheitert.
»Jetzt fühle ich mich wieder als Mann«, sagte er. »Ich brauche nur noch eine Frau, am liebsten die dort.«
Er deutete zur anderen Seite hinüber auf eine etwa vierzigjährige Touristin mit kurzem, blondem Haar und guter Figur. Sie saß mit zwei anderen Frauen an einem Tisch und schien Ciasims offenkundiges Interesse gar nicht übelzunehmen.
»Solche Frauen mag ich, Jack, da ist wenigstens was dran.«
»Du wirst dich anstrengen müssen«, sagte ich. »Sie scheint gerade ihre zweite Jugend zu erleben.«
Er lachte so laut, daß die anderen sich umdrehten. »Jack, ich liebe dich, ich liebe dich wie einen Bruder. Jetzt gehe ich und tanze mit ihr. Mal sehen, was dann passiert.«
Er erhob sich, schwankte für einen Augenblick und stolperte hinüber zur anderen Seite. Die Touristin lag in seinen Armen, bevor sie recht wußte, wie ihr geschah.
Ich fühlte keine Schmerzen mehr. Die Flasche war fast leer, eine stramme Leistung, selbst wenn man Ciasims Anteil berücksichtigte. Ich goß den Rest in mein Glas und bemerkte,daß Sarah mich sehr ernst beobachtete. Vielleicht stiegen Muttergefühle in ihr hoch.
Ich hob feierlich das Glas und trank es leer. Dabei schüttete ich mir die Hälfte über mein Hemd. Sarah wandte den Blick ab. Aleko raunte ihr stirnrunzelnd etwas zu. Sie nickte, dann standen sie auf und begannen zu tanzen.
Inzwischen hatte mich das Selbstmitleid gepackt. Aleko tanzte für seine Größe überraschend gut, und sie bewegte sich wie eine Feder. Ich schloß die Augen und atmete mit ihrem Parfüm Erinnerungen ein.
Als ich die Augen wieder öffnete, ging der Ärger schon los.
9
Der Mann, der sich durch die Menge heranschob, war zwar nicht ganz so mächtig wie Aleko, aber noch kräftig genug. Er war genauso betrunken wie seine fünf oder sechs Freunde an der Bar. Ich wußte, daß er der ›große Andreas‹ genannt wurde. Er war Kapitän einer Kongoa und hatte eine Gefängnisstrafe hinter sich, weil er im Streit einen Mann erstochen hatte.
Er machte sich an Sarah heran, aber Aleko schob ihn einfach beiseite und tanzte weiter. Andreas versuchte es noch einmal und packte Aleko so hart an der Schulter, daß dessen Hemd zerriß. Ich wartete ebenso gespannt wie alle anderen darauf, daß Aleko ihm einen Kinnhaken verpaßte, aber statt dessen führte er Sarah nur an den Tisch zurück.
Andreas versetzte ihm von hinten einen Tritt, der Aleko quer über seinen Tisch warf. Dann folgte für mich eine der größten Überraschungen meines Lebens.
Als Aleko sich schwerfällig umdrehte, sprang Andreas ihn an, weil er wohl in der Überraschung seine einzige Chance sah. Da hob Aleko abwehrend beide Hände hoch und schrie vor Angst auf.
Als der Riese sich auf seinem Stuhl zusammenkauerte, begriff ich plötzlich vieles. Er kostümierte sich als harter Bursche, aber die brutale Tatsache war, daß er trotz seiner enormen Kraft eine panische Angst vor physischer Gewalttätigkeit hatte.
Andreas stand da, die Hände in die Hüften gestemmt, und starrte ihn an. Dann begann er zu lachen, drehte sich um und rief seinen Freunden eine obszöne Bemerkung zu. Noch beleidigender war, was nun folgte: Er tätschelte Alekos Backe und sagte ihm, er solle sich keine Sorgen machen, ihm würde nichts geschehen. Da schüttete ihm Sarah den Inhalt ihres Glases mitten ins Gesicht.
In einem Punkt sind die Griechen den Sizilianern sehr ähnlich: Sich in aller Öffentlichkeit von einer Frau demütigen zu lassen, ist für sie undenkbar. Eine tödlichere Beleidigung gibt es für sie nicht. Also war es nur selbstverständlich, daß er ihr eine so kräftige Ohrfeige versetzte, daß sie umkippte.
Nun brach bei mir all die aufgestaute Wut gegen die ganze Welt durch. Mit zwei Sprüngen überquerte ich die Tanzfläche und landete mit allem, was ich hatte, bei ihm einen gemeinen Nierenhaken. Er fuhr herum und bekam meine andere Faust ins Gesicht. Dann stieß ich ihm das Knie tief unter die Gürtellinie, und er ging zu Boden wie ein gefällter Baum.
In der nun folgenden Stille schrie eine Frau auf.
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