Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)
wertvoll genug schien, aus einem solch reinen Material geschaffen zu werden. Das "weiße Gold" wurde es genannt, und vielleicht war es tatsächlich so selten geworden, bedrohte ihn die jahrtausendelange Jagd wie ein aussterbendes Tier, denn so weit er auch durch die stillen Reihen schritt, er fand nicht einen einzigen Block. Sicher, es gab weißen Marmor, den billigen Carrara Edilizia zum Beispiel, genannt Nostrano mit seinen feinen grauen Adern, aus dem man Treppenstufen und Fensterbänke machte, auch Waschbecken oder Spülen. Dann gab es den Arabescato Vagli , mit seinen grünlichen Einsprenkelungen, den rosa schimmernden Breccia , der gerade aus der Mode zu kommen begann, den Grigio Argento , den Nuvolato Apuano und den Piastraccia . Unzählige, zutiefst fremd klingende Namen, die er in den nächsten Wochen und Monaten aufschnappen sollte, ohne sie sich alle merken zu können. Doch so ausgefallen die Einschlüsse auch sein mochten, so farbig oder edel sie im polierten Zustand erschienen, die Sulfate und Salze, die Oxide oder um welche chemischen Verbindungen es sich auch handelte, sie waren Verunreinigungen. Nichts konnte es mit dem Statuario aufnehmen.
Schließlich fand er noch einen großen Block Bianco P , gleichfalls ein strahlend weißer Stein, dem allerdings die elfenbeinfarbene Wärme des Originals fehlte.
Er kehrte an den Strand zurück. Nur wenige Meter musste er gehen, um in Sichtweite der ersten Badeanstalten zu kommen. Die Sonnensegel waren schon eingeholt worden. Nur wenige Gäste streckten sich in ihren Liegestühlen der Abendsonne entgegen. Kinder spielten am Wasser, und ein paar hölzerne Boote schaukelten in der ruhigen See. Hatte er noch vorgehabt, sich seiner Kleidung alsbald zu entledigen, um das Meer mit einem schnellen Bad zu begrüßen, setzte er sich scheu ein wenig abseits in den Sand. Er nahm seinen Hut ab, und die schwache Brise, die landwärts zog, strich ihm kühlend durchs Haar. Tief sog er die salzige Luft ein. Langsam und lautstark atmete er wieder aus. Es klang wie ein langer Seufzer.
„Darf ich mich vorstellen, Maximilian von Kampen.“ Er verbeugte sich knapp. „Aus Deutschland“, fügte er unnötigerweise hinzu, denn sein Französisch ließ keinen Zweifel an seiner Herkunft.
Die Pensione Moderna war neueren Datums. Sie war dreistöckig und zweckmäßig gebaut. Nur das Dach und die Gartenanlage ließen Anklänge an den Jugendstil erkennen. Im Hochsommer wurden die Mahlzeiten draußen im vom Wein überrankten Hof eingenommen. Die ersten Juniabende konnten aber frisch werden, und Piero, der Wirt, ließ dann im Aufenthaltsraum decken. Dann schob seine Tochter die Tische zusammen, und die wenigen Gäste aßen und tranken gemeinsam im Licht der flackernden Öllampen bis in die Nacht hinein. Da der Ort sonst wenig Zerstreuungen bot, sah man vom wöchentlichen Tanzabend im nahen Hotel Principe ab, konnte man sich auf die regelmäßige Vollzähligkeit verlassen. Die Pension verfügte über zwölf Zimmer, doch so früh in der Saison war kaum mehr als die Hälfte davon belegt. Als Maximilian an den Tisch trat, zählte er, sich ausgenommen, lediglich acht Gäste.
Die kurze Vorstellungsrunde, die dann folgte, war ein wenig zu steif, und Maximilian argwöhnte, sie machten sich über ihn und seinen kadettenhaften Auftritt lustig. Zum Glück war er nicht der einzige Deutsche. Josef Lindemann kam aus Berlin, und auch er schien, nahm man die Blässe seines Gesichts zum Gradmesser, erst vor kurzem angekommen. Später sollte Maximilian erfahren, dass er eine längere Krankheit hinter sich hatte, und dass sein eingefallenes Äußere die Folge einer gerade überstandenen Schwindsucht war. Auch zwei Frauen saßen in der Runde. Germaine, eine nach der letzten Mode gekleidete und geschminkte Französin, die ihm schelmisch die Hand zum Kuss reichte und offenbar mit dem älteren der russischen Brüder befreundet war, Arkadij, wenn er den Namen richtig verstanden hatte. Dieser lebte im Pariser Exil, während Boris, der Jüngere, ein glühender Anhänger der Lenin'schen Lehren zu sein vorgab. Sie hatten sich seit Jahren nicht gesehen. Nach Italien waren sie gekommen, weil ein Treffen hier beiden am unauffälligsten erschien. Die zweite Frau, Lidia, war Italienerin. Auch sie war in Begleitung ihres Bruders, eines, wie Maximilian fand, aufgeblasenen Gockels, der sich im ersten Satz schon als Dichter vorstellte und damit seine ganze Abneigung auf sich zog. Er hieß Massimo Giacometti. Auffällig
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