Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)
wechselte, die Hand auf seine Schulter legte, er hätte wie ein Ausgestoßener gewirkt. Auch Massimo Giacometti schien sich fehl am Platz zu fühlen, doch hielt er standhaft durch, und versuchte, wo immer es ging, sich zwischen der Schwester und dem Amerikaner zu schieben, im wörtlichen wie im übertragenen Sinne, denn jedes Argument nahm er zum Anlass, weitschweifig über dieses und jenes zu schwadronieren, sodass der Amerikaner ihn immer wieder mit einer Bemerkung unterbrechen musste, über die er selbst so schallend lachte, dass alle im Raum aufsahen und Massimo sich ein gequältes Lächeln abrang. Lidia begnügte sich damit, Scott mit langen Blicken zu bedenken und lächelte ansonsten still vor sich hin. Ihr dunkles, halb langes Haar war straff hochgesteckt und ließ einen langen, makellosen Hals und ein strenges Profil sehen. Sie war keine wirkliche Schönheit, doch im fahlen Licht und ihrer Bewegungslosigkeit ähnelte sie einer marmornen Göttin. Scott jedenfalls konnte kaum den Blick von ihr abwenden, und nur das Wissen um die schier endlose Zeit, die ihnen blieb, oder die natürliche Geduld, mit der er gesegnet zu sein schien, ließ ihn freundlich und gelassen den anderen ertragen. Und schließlich war es der Bruder und nicht irgendein Nebenbuhler.
So erschöpft Maximilian von der langen Reise und dem Neuen war, das ihm auf Schritt und Tritt begegnete, so unmöglich machte es ihm die teils freudige, teils ängstliche Spannung, die ihn seit seiner Abreise erfüllte, schon Tage davor sich beständig aufgebaut hatte wie in einem sich aufladenden Kondensator, im Bett die wohlverdiente Ruhe zu suchen. Jedes neue Chanson, das Germaine mit sicherer Hand auswählte, war wie ein geheimnisvolles Versprechen, jedes Gesicht, das er im Halbdunkel ausforschte, jedes der fremdartigen Worte, die die Luft erfüllten, waren der Vorbote kommender Abenteuer. Das war sein Sommer, das spürte er an diesem Abend ganz deutlich, er hatte ihn sich erkämpft gegen den nüchternen Widerstand der Eltern, gegen jenen anderen und schwerer zu überwindenden der Verlobten. Im September würde er zurückkehren und das tun, was man von ihm erwartete, Anne heiraten, die Lektorenstelle im Verlag antreten. Er freute sich darauf, darauf und auf den Gedichtband, den er dann hoffentlich veröffentlichen würde. Sein zukünftiges Leben lag wie ein fertig geschriebenes Buch vor ihm, das eine oder andere Datum musste eingesetzt werden, und es gab Namen, die noch austauschbar waren, Orte sich erst einfinden würden. Doch war sein Leben vorgezeichnet. Das zu wissen beruhigte ihn an diesem Abend. Was auch immer geschähe, in wenigen Monaten würde er sein eigentliches Leben wieder aufnehmen, und die Zeit in Italien wäre eine Episode, an die er sich erinnern konnte, mehr nicht.
Morgen schon wollte er anfangen, an seinen Gedichten zu arbeiten. Als erstes wollte er dieses Gefühl in Worte fassen, dass ihn an diesem Abend erfüllte, dieses Schweben zwischen dem Alten und dem Neuen. Schon in der übernächsten Woche, so hatte er angeboten, könnte er einige der neuen Gedichte in der Runde vorstellen. Als Arkadij zwischen Käse und Obst den Vorschlag gemacht hatte, im wöchentlichen Wechsel Kostproben ihres künstlerischen Schaffens im kleinen Kreis zur Aufführung zu bringen, einen Salon Jeudi einzurichten, wie er die Veranstaltung ob des Wochentages, an dem sie stattfinden sollte, vollmundig getauft hatte, war die Wahl der Debütierenden zwar spontan auf Lidia gefallen. Schließlich sollten einige italienische Klavierstücke, das hatten sie sich ausdrücklich erbeten, zu ihrem Repertoire gehören und deshalb die geringste Vorbereitung erfordern. Als sich aber dann alle bedeckt hielten, wer als nächster an der Reihe käme, ein Dichter oder Schriftsteller, wie gefordert worden war, um den Proporz der schönen Künste zu wahren, hatte Maximilian sich in ungewohnter Forschheit vorgewagt, mehr zum seinem eigenen Erstaunen als zu jenem der anderen. Dass Massimo Giacometti dieses Vorpreschen nicht gerade erfreut aufnahm, das hatte er erwartet, und möglicherweise war ihm genau dies Ansporn gewesen. Der junge Italiener machte einen halbherzigen Versuch, darauf hinzuweisen, dass einige seiner besten Poeme bereits auf Französisch übersetzt seinen und diese Arbeit somit entfallen könne, was Scott mit dem Hinweis vom Tisch wischte, die Lesungen hätten Werkstattcharakter, und da störe eine gewisse Vorläufigkeit keineswegs, im Gegenteil, er ermutige sogar,
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