Die nächste Begegnung
mühsam noch einmal.
Nicole schickte den Tiasso, um die nötigen Formulare zu holen. Diese Papiere erforderten die Unterschriften des behandelnden Arztes, des Ehepartners und der betroffenen Person selbst, sofern diese — nach Ansicht des zuständigen Arztes — noch zu eigenem Entschluss fähig war. Während der Tiasso unterwegs war, winkte Nicole Ellie auf den Gang hinaus.
»Was hast du denn hier zu suchen?«, fragte sie leise, als sie außer Hörweite waren. »Ich hab dir doch befohlen, daheim- zubleiben und stillzuliegen! Du hast eine ernste Gehirnerschütterung ...«
»Ach, mir geht's schon wieder ganz gut, Mutter«, sagte Ellie. »Außerdem, als ich hörte, dass Mr Kim so schwere Verbrennungen hat, wollte ich unbedingt helfen. Er war uns damals im Anfang solch ein guter Freund.«
»Sein Zustand ist scheußlich schlecht«, sagte Nicole kopfschüttelnd. »Ich versteh gar nicht, wieso er noch lebt.«
Ellie legte ihrer Mutter die Hand auf den Arm. »Er will, d as s sein Tod — nützlich ist«, sagte sie. »Seine Frau hat mit mir darüber gesprochen ... Ich hab bereits Amadou holen lassen, aber ich brauche deine Hilfe: Du musst mit Dr. Turner reden.«
Nicole blickte ihre Tochter verständnislos an. »Wovon redest du überhaupt, verdammt noch mal?«
»Erinnerst du dich nicht mehr an Amadou Diaba? Den Freund von Eponine? Den nigerianischen Apotheker mit der Senoufo-Großmutter? Er hat bei einer Bluttransfusion das RV41-Virus bekommen ... Jedenfalls, Eponine sagte mir, dass sein Herz zunehmend und schnell schlechter wird.«
Nicole fand zunächst keine Worte. Sie konnte nicht glauben, was sie da hörte. Schließlich sagte sie: »Du willst also, dass ich Dr. Turner bitte, jetzt, mitten in diesem katastrophalen Durcheinander, persönlich und im OP eine Herztransplantation durchzuführen?«
»Wenn er diese Entscheidung jetzt trifft, kann die Verpflanzung später heute Nacht durchgeführt werden, nicht wahr? Man kann Mr Kims Herz doch mindestens so lange vital erhalten.«
»Sieh mal, Ellie«, sagte Nicole, »wir wissen ja nicht einmal ...«
»Oh, das habe ich bereits überprüft. Einer von den Tiassos hat für mich festgestellt, dass Mr Kim ein brauchbarer Spender wäre.«
Wieder schüttelte Nicole den Kopf. Dann sagte sie: »Also gut, ja, ich denk drüber nach. Aber jetzt möchte ich, dass du dich still hinlegst und ausruhst. Eine Gehirnerschütterung ist keine Kleinigkeit.«
»Ich soll was tun?«, fragte Dr. Turner Nicole ungläubig.
»Nun also, Dr. Turner«, sagte Amadou mit seinem britischen Akzentverschnitt, »es ist ja nicht Dr. Wakefield, die das von dir verlangt, ich bin es. Und ich flehe dich an, mach diese Operation. Und bitte, bedenke dabei nicht das Risiko. Du hast mir höchstpersönlich ins Gesicht gesagt, dass ich keine drei Monate mehr zu leben haben werde. Ich bin mir völlig darüber im Klaren, dass ich dir auf dem Operationstisch wegsterben kann. Aber wenn ich das durchstehe, dann hab ich aufgrund der Statistik, die du mir gezeigt hast, immerhin die Chance von 50:50, noch acht Jahre weiterzuleben. Ich könnte dann sogar heiraten und vielleicht ein Kind haben.«
Dr. Turner machte auf dem Absatz kehrt und schaute auf die Uhr an der Wand seines Büros. »Mister Diaba, wenn du vergessen willst, dass es nach Mitternacht ist und dass ich seit neun Stunden ununterbrochen Patienten mit schweren Verbrennungen versorge ... Überleg doch einmal, worum du mich bittest ... Ich habe seit fünf Jahren keine Herztransplantation mehr durchgeführt. Und ich habe noch nie eine gemacht, ohne dass mir dabei das beste kardiologische OP-Team zur Seite stand, das es auf dem Planeten Erde je gab. Die ganzen chirurgischen Vorarbeiten beispielsweise wurden dabei immer von Robotern erledigt.«
»Das weiß ich alles, Dr. Turner. Aber das spielt hier doch eigentlich keine Rolle. Ohne diese Operation werde ich mit Sicherheit sterben. Höchstwahrscheinlich wird es in absehbarer Zeit keinen passenden Spender geben. Außerdem — Ellie hat mir gesagt, dass du erst kürzlich für die Erstellung deiner Budgetforderungen für neue Apparate auch die ganzen gängigen Verfahren von Herztransplantationen wieder durchgecheckt hast .. .
Dr. Turner warf Ellie einen rätselhaften Blick zu. »Meine Mutter hat mir gesagt, wie gründlich du dich vorbereitet hast, Dr. Turner. Ich hoffe, es stört dich nicht, dass ich darüber mit Amadou geredet habe.«
»Ich bin von Herzen bereit, dir auf jede mir mögliche Weise zu assistieren«,
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