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Die nächste Begegnung

Die nächste Begegnung

Titel: Die nächste Begegnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke
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Schwangerschaft immer einen unverfänglichen Gesprächsgegenstand. Es hatte Nicole immer aufs Neue in tiefstem Herzen erregt, den Bauch ihrer Tochter zu berühren oder über die besonderen Gefühle zu sprechen, die eine werdende Mutter empfindet. Wenn Ellie etwa sagte, wie »aktiv« das kleine Leben in ihr bereits sei, ging Nicole stets eifrig darauf ein und führte ihre eigenen Erfahrungen an (»Als ich mit Patrick schwanger war«, sagte Nicole einmal, »war ich nie müde. Du dagegen warst ein richtiger Albtraum für 'ne werdende Mutter — immer hast du mitten in der Nacht angefangen herumzuboxen, wenn ich schlafen wollte ... «) . Und wenn es Ellie nicht so besonders gutging, verordnete Nicole ihr eine spezielle Diät oder körperliche Übungen, die sich bei ihr selber in diesem Zustand als hilfreich erwiesen hatten.
    Ellie war zum letzten Mal zu Besuch gekommen, zwei Monate bevor das Kind zur Welt kommen sollte. Eine Woche später war Nicole in ihre neue Zelle verlegt worden, und seitdem hatte sie mit keiner Menschenseele mehr gesprochen. Die stummen Bioten, die sie versorgten, ließen durch nichts erkennen, dass sie Nicoles Fragen auch nur gehört hatten. Einmal, als ihre Frustration besonders unerträglich angewachsen war, hatte sie den Tiasso, der sie zum wöchentlichen Bad führte, regelrecht angebrüllt: »Meine Tochter sollte letzte Woche entbunden werden, von meinem Enkelkind! Ich muss wissen, ob es ihnen gutgeht!.
    In den Haftzellen davor hatten sie Nicole immer erlaubt zu lesen. Wann immer sie darum bat, wurden ihr aus der Bücherei neue Textdiscs gebracht, und so waren die Tage zwischen den Besuchen relativ rasch vergangen. Sie hatte fast alle historischen Romane ihres Vaters wiedergelesen, dazu einige Gedichtsammlungen, Geschichtswerke und etliche der wichtigeren medizinischen Werke. Als besonders bemerkenswert fiel ihr dabei die Häufung von Parallelen zwischen ihrem eigenen Leben und dem ihrer zwei Jugendidole auf: Johanna von Orleans und Eleanore von Aquitanien. Und sie gewann einige zusätzliche Kraft aus der Erkenntnis, dass auch diese beiden Frauen sich in ihren Grundsätzen durch lange und widerwärtige Kerkerhaft nicht hatten brechen lassen.
    Kurz nach der neuen Verlegung — als der Garcia, der sie in die neue Zelle brachte, ihr zwar ihre persönlichen Effekte, nicht aber ihr elektronisches Lesegerät zurückgab — hatte Nicole zunächst gedacht, es handle sich nur um einen unbedeutenden Verfahrensfehler. Nachdem sie aber mehrmals ihren Leser zurückverlangt hatte und sie ihn immer noch nicht bekam, begriff sie, dass man ihr nun auch die Lektüre vorenthalten wollte.
    In dieser neuen Zelle verging ihr die Zeit sehr langsam. Täglich stapfte sie ganz bewusst mehrere Stunden lang in dem Loch auf und ab, um sich die körperliche und geistige Aktivität zu erhalten. Sie versuchte diese Laufübungen kontrolliert zu organisieren, indem sie sich bewusst von Gedanken an ihre Familie ablenkte, die unweigerlich zu Gefühlen der Einsamkeit und zu Depressionen führten. Am Ende derartiger Übungen konzentrierte sie sich bewusst auf Begebenheiten aus ihrem Leben und versuchte daraus neue Einsichten zu gewinnen.
    Einmal erinnerte sie sich dabei überdeutlich an ein Erlebnis aus ihrem fünfzehnten Lebensjahr. Damals hatten ihr Vater und sie sich bereits recht gut in Beauvois eingelebt, und Nicole machte sich in der Schule ganz prächtig. Sie beschloss, sich an dem landesweiten Wettbewerb zu beteiligen, bei dem drei Mädchen gekürt werden sollten, die dann bei einer Reihe von Festspielaufführungen zur 750-Jahrfeier ihres Martyriums in Rouen die Jeanne d'Arc spielen sollten. Nicole stürzte sich mit solcher Leidenschaft und zielstrebiger Unbeirrbarkeit in diesen Wettbewerb, dass ihr Vater ebenso fasziniert wie besorgt war. Nachdem sie in Tours Regionalsiegerin geworden war, unterbrach Pierre des Jardins sogar sechs Wochen lang die Arbeit an dem Roman, an dem er gerade schrieb, um seiner geliebten Tochter bei den Vorbereitungen für den Landeswettbewerb in Rouen zu helfen.
    Nicole belegte in den sportlichen und intellektuellen Disziplinen den ersten Platz. Sie erlangte sogar eine sehr hohe Note für »Darstellerische Leistung«. Ihr Vater und sie waren sicher gewesen, dass sie den Sieg so gut wie in der Tasche habe. Aber bei der Siegerverkündung war Nicole dann nur Zweite.
    Jahrelang, dachte Nicole, während sie in ihrer Zelle auf und ab ging, hab ich gedacht, ich habe versagt. Als Pierre zu mir sagte, dass

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