Die nächste Begegnung
nicht über sich gebracht hatte, Max >nein< zu sagen. Ein Gefühl tiefer Verbitterung stieg in ihr auf. Sie kämpfte es nieder.
»Gestern haben Benjy und ich einen tollen Spaziergang gemacht«, sagte sie, um das Thema zu wechseln.
»Ich bin sicher, er wird mir heut Morgen ausgiebig davon erzählen«, sagte Ellie. »Er genießt seine Sonntagsspaziergänge mit dir immer unendlich. Er hat ja jetzt auch nichts mehr sonst, höchstens noch meine gelegentlichen Besuche ... Du weißt doch, ich bin dir sehr dankbar.«
»Red keinen Quatsch! Ich hab Benjy gern. Und außerdem brauch ich das Gefühl, gebraucht zu werden, wenn du verstehst, was ich meine ... Im Übrigen hat Benjy sich überraschend gut angepasst. Er beklagt sich längst nicht so viel wie die 41 er und erst recht nicht in dem Maß wie die Leute, die sie hier in die Waffenfabrik zwangsverpflichtet haben.«
»Benjy verbirgt seinen Kummer«, entgegnete Ellie. »Er ist viel intelligenter, als die meisten sich vorstellen können ... Er verabscheut den Aufenthalt in der Station gründlich, aber er ist sich auch bewusst, dass er allein nicht zurechtkommen kann. Und er will niemandem zur Last fallen..
Plötzlich standen Ellies Augen voll Tränen, und sie begann leise zu zittern. Das Kind hörte auf zu trinken und schaute starr ins Gesicht der Mutter hinauf. »Geht es?«, fragte Eponine. Ellie ruckte bejahend mit dem Kopf, dann wischte sie sich die Augen mit einem Stückchen Stoff, das sie unter die Brust gehalten hatte, um danebengehende Tröpfchen aufzufangen. Baby Nicole begann wieder zu nuckeln. »Es ist schon schwer genug, ständig Zeuge von Leiden zu sein«, sagte Ellie. »Aber unnötiges, vermeidbares Leiden, das zerfrisst einem wirklich das Herz.«
Der Wachmann besah sich ihre Ausweise genau, dann reichte er sie an den zweiten Uniformierten weiter, der hinter ihm an einem Computerpult saß. Der zweite Mann gab irgendetwas in den Computer ein und reichte dann die Dokumente dem ersten Beamten zurück.
Als sie außer Hörweite waren, sagte Ellie: »Wieso muss dieser Kerl Tag für Tag unsre Fotos anglotzen? Im letzten Monat hat der uns doch persönlich mindestens zehn-, zwölfmal durch den Checkpoint gehen sehen.«
Sie gingen den Weg entlang, der vom Ausgangstor des Moduls nach Positano führte. »Das ist sein Job«, antwortete Robert, »und er fühlt sich halt gern wichtig. Wenn er nicht jedes Mal so eine Show abzieht, könnten wir ja möglicherweise vergessen, dass er Macht über uns hat.«
»Die Abwicklung ging aber viel rascher, als noch die Bioten die Schleusenkontrolle hatten.«
»Ja, aber die Bioten, die noch funktionstüchtig sind, sind viel zu wichtig für die Kriegführung ... Außerdem hat Nakamura Angst, dass Richard Wakefields Geist erscheinen und die Bioten irgendwie verwirren könnte.«
Eine Weile gingen sie schweigend weiter. »Du glaubst also nicht, dass mein Vater noch lebt? — Ehrlich, Liebling?«
Dr. Taylor zögerte kurz, dann sagte er: »Nein, Liebes, eigentlich nicht.« Die Direktheit ihrer Frage überraschte ihn. »Aber obwohl ich nicht glaube, dass er noch lebt, hoffe ich immer noch, dass er lebt.«
Dann kamen sie an den Rand von Positano. Den Weg entlang, der sanft zum Village-Zentrum hin abfiel, standen etliche neue Häuser im >europäischen< Stil. »übrigens, Ellie«, sagte Robert, »da wir grad von deinem Vater gesprochen haben, ist mir was eingefallen, worüber ich schon lange mit dir sprechen wollte ... Erinnerst du dich an das Projekt, von dem ich mit dir mal gesprochen habe? An dem jetzt Ed Stafford arbeitet?«
Ellie schüttelte den Kopf.
»Er versucht die ganze Kolonie nach genetischen Obergruppen zu erfassen und zu klassifizieren. Er ist überzeugt, dass sich aus derartigen Klassifizierungen, obwohl sie vollkommen willkürlich wären, möglicherweise schlüssige Hinweise ergeben könnten, welche Individuen wahrscheinlich welche Krankheiten bekommen. Ich bin mit seinem wissenschaftlichen Ansatz nicht völlig einverstanden — er erscheint mir doch als arg forciert, weit mehr nummerisch, statistisch als medizinisch bestimmt zu sein —, aber es gab auf der Erde Parallelstudien, und dabei ergab sich, dass Menschen mit ähnlicher Genstruktur tatsächlich ähnliche Krankheitstendenzen aufwiesen.«
Ellie blieb stehen und schaute ihren Mann fragend an. »Und wieso möchtest du darüber mit mir sprechen?«
Robert lachte. »Ja, ja, dazu komm ich gleich ... Jedenfalls, Ed hat einen Differenzierungsmaßstab entwickelt — ein
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