Die nächste Begegnung
Frankreich einfach noch nicht bereit sei für eine dunkelhäutige Jeanne d'Arc, änderte das nichts daran. Ich glaubte zutiefst, dass ich eine Niete bin. Ich war völlig am Boden. Und mein Selbstwertgefühl hat sich eigentlich erst bei der Olympiade wieder erholt ... und dann dauerte es auch nur ein paar Tage, bevor Henry mein Selbstvertrauen erneut aus den Angeln gehoben hat.
Es war ein schrecklich hoher Preis, dachte sie weiter. Ober, fahre hin habe ich mich in mich selbst verkrochen, weil ich kein Selbstvertrauen mehr hatte. Erst viel später konnte ich mich dann akzeptieren, so wie ich bin. Und erst von da an konnte ich andern etwas geben. Dann fragte sie sich: Warum machen so viele von uns zwangsläufig die gleichen Erfahrungen durch ? Warum sind wir in der Jugend dermaßen selbstbezogen, und warum müssen wir zuerst zu uns selberfanden, bevor wir begreifen können, wie unendlich reicher und vielfältiger das Leben ist?
Als der Garcia ihr wie gewohnt das Essen brachte und diesmal etwas frisches Brot und ein paar rohe Karotten dabeilagen, vermutete sie; dass etwas in ihrer Haftroutine geändert werden sollte. Zwei Tage später kam der Tiasso und brachte ihr eine Haarbürste, Make-up, einen Spiegel und sogar etwas Parfüm. Nicole genoss ausgiebig ein langes Bad und richtete sich etwas her — zum ersten Mal seit Monaten. Ehe der Biot ging, reichte er ihr einen Zettel. Darauf stand: »Du bekommst morgen früh Besuch.«
Sie konnte vor Aufregung nicht schlafen. Am frühen Morgen schnatterte sie wie ein kleines Mädchen auf ihren Freund, das Eichhörnchen, ein und vertraute ihm ihre hoffnungsvollen Erwartungen, aber auch ihre Besorgnis wegen dieser bevorstehenden Begegnung an. Sie fummelte immer wieder an ihrem Gesicht und ihrer Frisur herum, gab es schließlich als >hoffnungslos< auf. Die Zeit verstrich sehr langsam.
Endlich, es war schon fast Mittag, hörte sie menschliche Schritte draußen im Gang auf ihre Zelle zukommen. Voller Erwartung stürzte sie vorwärts. Und als sie ihre Tochter dann um die letzte Ecke biegen sah, schrie sie: »Katie!«
»Hallo, Mama«, sagte Katie, schloss das Zellengitter auf und kam herein. Die Umarmung dauerte viele Augenblicke lang. Und Nicole gab sich keine Mühe, die Tränen zurückzuhalten, die ihr übers Gesicht strömten.
Sie setzten sich auf Nicoles Pritsche, das einzige Möbelstück in der Zelle, und redeten eine Weile ganz freundschaftlich über die Familie. Katie informierte sie, sie habe eine Enkelin bekommen (»Nicole desJardins Turner«, sagte sie, »du kannst stolz auf sie sein«), dann holte sie so an die zwanzig Fotos hervor. Darunter ganz frische Schnappschüsse des Neugeborenen mit seinen Eltern. Ellie und Benjy in irgendeinem Park.
Patrick in Uniform ... Sogar ein paar Aufnahmen von Katie im Abendkleid. Nicole besah sie sich langsam, ein Bild nach dem anderen, und mehrmals schwammen ihr die Augen vor Tränen. »Ach, Katie !«, rief sie ein paarmal aus.
Dann dankte sie Katie überschwänglich, dass sie daran gedacht habe, die Bilder mitzubringen. »Du darfst sie behalten, Mutter.« Katie stand auf und trat ans Fenster. Sie holte aus ihrem Beutel Zigaretten und ein Feuerzeug.
»Liebling?«, sagte Nicole zögernd. »Wär es dir möglich, hier drin nicht zu rauchen? Die Lüftung ist miserabel. Ich würde es wochenlang riechen müssen.«
Katie starrte ihre Mutter lange an, dann steckte sie die Zigarette weg. In diesem Moment erschienen vor der Zelle zwei Garcias, die einen Tisch und zwei Stühle trugen.
»Was soll denn das?«, fragte Nicole.
Katie lächelte nur. »Wir werden zusammen dinieren«, sagte sie. »Ich habe für diesen Anlass was Besonderes zubereiten lassen: Huhn in einer Pilz-Wein-Sauce.«
Ein dritter Garcia brachte das köstlich duftende Essen und stellte es auf den mit einem Tuch und richtigem Porzellan und Silberbestecken gedeckten Tisch. Es gab sogar Wein in der Flasche und Kristallgläser.
Es fiel Nicole ein wenig schwer, sich an ihre Tischmanieren zu erinnern. Das Hühnchen war dermaßen köstlich, die Pilze so zart, dass sie nur einfach aß, ohne dabei zu plaudern. Ab und zu, wenn sie einen Schluck Wein trank, brummte sie: »Hmm! « oder: »Das ist phantastisch!« — aber im Grunde sprach sie nicht, bis ihr Teller völlig leergegessen war.
Katie, die inzwischen eine sehr zögerliche Esserin geworden war, stocherte ein bisschen auf ihrem Teller herum und betrachtete ihre Mutter. Als Nicole fertig gegessen hatte, rief Katie einen Garcia
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