Die naechste Frau
bestraft das Leben. Oder hätte sie sich bei ihr auch ausnahmsweise mehr vorstellen können als nur unverbindlichern Sex?
Als sie ihr Gesicht wieder vor Augen hatte, mit diesem leicht spöttischen Lächeln, diesem aufmerksamen Blick, wusste sie, dass es genau so war. Ausgerechnet sie, Jaqueline Becker, der Inbegriff des Ladykillers der hiesigen Lesbenszene, ausgerechnet sie bekam weiche Knie?
In der ersten Sekunde noch, als sie diese Frau wieder gesehen hatte, war Jackie sich sicher gewesen, dass es etwas werden könnte mit ihnen. Wie sie zu diesem Gefühl kam, konnte sie sich selber nicht erklären. Wie oft hatte Jackie in letzter Zeit das Bild dieser Frau vor Augen gehabt? Vor dem Einschlafen und morgens beim Aufwachen. Ihr Bild hatte sich in Jackies Gedächtnis eingebrannt, mit einer Deutlichkeit, als müsste ihr Gehirn Versäumtes wieder gut machen.
Heute war ihre neue Chefin nicht so formell gekleidet gewesen wie am Tag ihrer ersten Begegnung. Wahrscheinlich war sie damals von ihrem Vorstellungsgespräch gekommen, vermutete Jackie. Den eleganten Damenanzug hatte sie gegen einen braunen Leinenblazer ausgetauscht, darunter hatte sie eine helle Bluse und beigefarbene Jeans getragen. Modisch und nicht zu offiziell, um unnahbar zu wirken.
Jackie bemerkte, dass sie ihren Stil mochte. Die Art, sich zu kleiden, ihre Haare zu tragen, sich zu schminken. Es sah alles irgendwie natürlich aus, nicht aufgesetzt und doch sehr gepflegt. Sie spürte ein Ziehen in ihrem Bauch und irgendetwas Lebendiges begann in ihr zu pulsieren. Ein völlig neues Gefühl.
Doch dann hatte ihre Chefin sie angesehen und zu reden begonnen und schlagartig war alles anders. Ihr Traum war zerfallen wie ein Kartenhaus. Aber was hatte sie sich auch gedacht? Dass sie, Jackie, einfach nur hätte sagen müssen: Sorry, ich hab’s überhört letztes Mal, können wir jetzt an der Stelle weiter machen? Wollen wir zu dir oder zu mir?
Hatte sie das vielleicht wirklich angenommen?
Sie solle ihre Bemerkung vergessen, hatte ihre neue Chefin nur gesagt.
Wie sollte das aber funktionieren, nachdem Jackie wochenlang versucht hatte, sich an ihre Worte zu erinnern, immer und immer wieder, dieselben Worte, deren Inhalt ihr erst viel zu spät bewusst geworden war, ihren Tonfall, den Blick ihrer dunklen Augen. Warum war Jackie erst im Nachhinein aufgegangen, was das gerade für eine umwerfende Frau gewesen war und wie freundlich sie es mit ihr gemeint hatte?
Sie saß bereits seit zwei Stunden auf ihrem Motorrad und fuhr einfach nur durch die Gegend. Sie kam nur langsam zur Ruhe, als sie bemerkte, wie sie müde wurde.
Klaus kam ihr in den Sinn. Ob er sich mit ihr auf ein Bier treffen würde? Sie fuhr beim nächsten Parkplatz rechts ran, zog ihr Handy aus der Tasche, wählte seine Nummer.
„Hey, Klaus. Hast du Zeit auf ein Bier?“
Er war noch im Büro, versprach jedoch, bis in spätestens einer Stunde in ihrer Kneipe aufzutauchen.
„Ich freu mich auf dich“, sagte Jackie.
„Ist was passiert?“
„Erzähl ich dir dann. Bis gleich.“
„Du hast sie wiedergefunden?“ Klaus konnte nicht verstehen, warum Jackie dann so traurig aussah. „Ja und? Dann freu dich doch.“
„Klaus, diese Frau ist meine Chefin.“
„Wie? Sie ist der neue Chef vom Seniorenzentrum?“
Ritschie hörte sie reden, wurde aufmerksam. „Ich brech nieder! Du hast sie endlich?“
„Nein, hab ich nicht!“, erwiderte Jackie, vielleicht einen Tick zu laut. Die Gäste der umstehenden Tische sahen sich nach ihr um. „Hab ich eben nicht“, wiederholte sie leiser, aber nicht weniger verzweifelt.
„Warum denn nicht?“, fragte Ritschie teilnahmsvoll.
„Diese Frau ist meine neue Chefin“, sagte Jackie. Alle sahen sie nur verständnislos an, und sie fügte hinzu: „Damit ist sie für mich unerreichbar.“
„Wer sagt das?“ So unbedarft konnte nur Klaus fragen.
„Sie selbst. Wenn sie gewusst hätte, dass ich dort arbeite, hätte sie nicht versucht, mit mir zu flirten. Ich soll’s wieder vergessen. Hat sie gesagt.“
Jetzt sahen Ritschie und Klaus doch etwas betreten aus.
Ritschie war die erste, die wieder etwas von sich gab. „Warte doch mal ab. Vielleicht ändert sie ihre Meinung ja noch.“
„Ja, genau“, pflichtete ihr Klaus bei. „Jetzt lass dir erst mal ein bisschen Zeit, und ihr auch. Vielleicht will sie sich bloß nicht gleich auf was einlassen. Diese Frau hat ja auch eine Probezeit, wie jede andere auch. Und so Beziehungskisten sind im Pflegeheim vielleicht
Weitere Kostenlose Bücher