Die Namensvetterin: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
Erde. Gedankenverloren zeichnete sie in den Dreck ein Muster. Es waren Wellen. Sie stand auf und ging in einer eigenartigen Ruhe zum Bad, wobei sie sich auszog und die Kleidungsstücke einfach fallen ließ.
Phillip musste sich einen anderen Ton zulegen, sonst würde sie ihn versetzen lassen. In scharfen, heißen Strahlen prasselte das Wasser auf sie nieder. Auf den schweren Kopf. Auf die brennenden Augen. Auf den trockenen Mund. Auf die tauben Hände. Auf die gefühllose Haut. Ja, sie würde ihn mit einer sarkastischen Rede vor allen Kollegen blamieren und ihm dann, sozusagen als Sahnehäubchen, die Versetzung – nein, besser noch die Kündigung servieren. Der Dampf in der Dusche weichte langsam ihre Starre auf. Und vielleicht würde sie ihm dann großzügig und jovial wieder die Hand reichen. Er würde nach ihrer Pfeife tanzen. Sie hofieren. Maria, soll ich dir einen Kaffee machen? Oder das Auto in die Waschstraße bringen? Ach, du hast ein Kleid in der Reinigung? Kein Problem! Maria verteilte genussvoll das warme Wasser auf ihrem Körper. Und er würde ihr Rosen schenken, seine Freundin versetzen und mit ihr ins »Steirereck« essen gehen. Marias Hand war bei ihrer Scham gelandet und spielte mit dem dichten Haar. Danach würde er sie in die Bar im Haas-Haus – wie hieß die noch einmal? – einladen und sie zum Tanzen auffordern, trotz des Protestes der Kellner, denn er würde sie fragen: Was würden Sie an meiner Stelle mit so einer wunderbaren Frau machen? Maria streichelte abwechselnd die Brustwarzen. Und die Kellner würden süffisant lächeln, und er würde sagen: Meine Herren, Sie haben es hier mit einer Dame zu tun. Und dann würden sie beide einander anlächeln in dem Wissen, dass alle Anwesenden sie beneideten, weil man es förmlich zehn Kilometer gegen den Wind roch, dass ihnen eine tolle Nacht bevorstand. Maria suchte den Spalt zwischen ihren Beinen. Und dann würden sie mit dem Lift hinunterfahren, sich in die Augen schauen, die Stopptaste drücken, übereinander herfallen, den Aufzug zum Schwanken bringen – ein spitzer Schrei. Maria war in der Duschwanne ausgerutscht. Sie hatte sich zu sehr angespannt und versteift, als sie sich selbst befriedigte. Keuchend starrte sie in den verstopften Ausguss. Was war das bloß für ein Tagtraum gewesen?! Der Gedanke an Phillip hatte sie doch tatsächlich erregt. Panisch drehte sie das heiße Wasser ab und stöhnte unter dem kalten Strahl auf. Als ihr der Kopf endlich vor Kälte schmerzte, lachte sie bitter auf. Wie peinlich! Sie hatte von ihrem Untergebenen, einem ordinär quasselnden und rücksichtslosen Macho, erotische Tagträume gehabt. Hatte sich vor Erregung selbst vergessen. Das war zum Lachen, wenn man bedachte, dass Karl sie als – das Telefon läutete. Hastig stolperte sie aus der Dusche und rannte zum Apparat. Zu spät. Der Anrufbeantworter. Phillip. Er wollte nur wissen, ob ihr das ›Jahrhundertbeisl‹ auch recht sei. Maria hob nicht ab. Hätte sie ihm sagen sollen, dass sie ihn für diesen Anruf hätte küssen mögen? Verspielt zeichnete sie mit ihren nassen Füßen Figuren aufs Parkett. Sie spürte, dass die Zeit ihres gefühllosen Daseins beendet war.
Zwei
Jedes Mal, wenn Maria mit einem weißen Tuch bedeckte Leichen sah, musste sie an ihre Kindheit denken. Beinahe lächerlich, wenn man das nahezu jeden Tag tat. Doch es war eine Konditionierung wie bei einem Pawlow’schen Hund. Leichentuch – Kindheit. Sie sah sich mit ihren Eltern vor dem Fernseher sitzen und einen Krimi ansehen. Denn seltsamerweise war das Erste, was sie am Abend – welcher Aufstieg zum Erwachsenwerden! – sehen durfte, ein Fernsehkrimi gewesen. Und sie wusste auch noch genau, welche es waren: Begonnen hatte es mit den »Straßen von San Francisco«, gefolgt von »Derrick« und »Tatort«. Zu Letzterem hatte sie als Kind ein zwiespältiges Verhältnis gehabt, denn die Geschichten erschienen ihr immer so realistisch. Sie hatte Angst, wollte es den Eltern aber nicht eingestehen, da sie sonst befürchtete, eine Stufe in die Kindheit zurückversetzt zu werden. »Derrick« mochte sie lieber. Gemeinsam rätselte die Familie, wer denn der Mörder sei. Meistens gewann ihre Mutter, trainiert durch die unmäßige Lektüre von Kriminalromanen. Und dann immer dieser Augenblick, wenn bei der Obduktion das Tuch weggezogen wurde. Maria hatte nie hingesehen – naja, durch die Finger schon. Sie hatte sich immer vor dem Anblick der Leiche gefürchtet und auch immer das
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