Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nanowichte

Die Nanowichte

Titel: Die Nanowichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Harman
Vom Netzwerk:
Strukturschäden an. Natürlich wußte Quintzi, daß so etwas mit Glücksspiel genaugenommen nichts zu tun hatte, aber … Ach was! Warum etwas aufgeben, das den ganzen Tag über so hervorragend funktioniert hatte?
    »… hunderteinundfünfzig … hundertzweiundfünfzig …«
    »Nicht mal mehr dreißig Sekunden«, grinste der Buchmacher. »Sie haben verloren. Finden Sie sich schon mal damit ab.«
    »Noch ist es nicht soweit«, entgegnete Quintzi. Wieder knackte der Balken, und Mörtelstaub rieselte von der Decke.
    Die Menge hörte erschrocken zu zählen auf und trat noch einmal einen Schritt zurück.
    »Her mit dem Geld!« knurrte Quintzi. Noch mehr altersschwache Holzfasern wurden mittendurchgerissen, die strukturelle Stabilität des Balkens entsprach jetzt in etwa der Konsistenz eines Zitronensorbets.
    Quintzi begann wieder zu zählen. Als er bei hundertsechsundsechzig ankam, stieß Doz Ysher einen Schrei aus und sah zur Decke hinauf: Der Balken bebte, knackte und knarrte, Mörtelstaub und Putz regneten von der Decke, Spinnweben und tote Käfer. Der Balken rauschte um Haaresbreite an der Nase des Buchmachers vorbei, krachte auf die Schaltertheke und wirbelte unzählige Wettscheine durch die Luft. Wie der Blitz sauste die Menge zur Tür hinaus, drängte sich auf der Straße zusammen und wartete gespannt darauf, was noch passieren würde.
    Erstaunlicherweise passierte nichts, das Wettforum Guldenburg stand fest wie eh und je. Bis zu dem Moment jedenfalls, in dem Quintzi, staubbedeckt und überheblich grinsend, mit zwei riesigen Geldsäcken aus dem Wettbüro spazierte und die Tür hinter sich zuschlug. Die Menge sah es mit ehrfürchtigem Staunen.
    Ob das laute Knacken und Splittern, das jetzt zu hören war, tatsächlich als Zeichen struktureller architektonischer Instabilität zu werten war – das herauszufinden, damit hielten sich Quintzi und sein Papagei nicht mehr auf.
     
    Auf einem Platz am anderen Ende von Guldenburg trieb sich Hogshead vor dem Stand eines Pastetenbäckers herum und zerbrach sich den Kopf, wie er an eine von diesen Köstlichkeiten kommen konnte, die dort angerichtet waren. Leider war das Ungetüm von einem Bäcker nicht um alles in der Welt dazu zu bewegen, auch nur eine Millisekunde lang die Möglichkeit in Erwägung zu ziehen, wenigstens eine Pastete zu verschenken. Hogshead hatte vorgegeben, an Mangelernährung zu leiden, hatte es mit allen möglichen Lockmitteln probiert, hatte in seiner Verzweiflung versucht, sich im Vorbeilaufen eine Pastete zu schnappen … Nichts hatte geklappt. Und jetzt mußte er verhungern. Und warum? Weil eben wie überall auch auf der Mystems die simple Wahrheit galt: Man kann alles haben, was es gibt – man darf nur nicht pleite sein.
    Zum fünfzehnten Mal durchwühlte er jetzt seine Taschen nach dem Häuflein Groschen, das er möglicherweise übersehen hatte. Umsonst. Es war sinnlos. Es war wohl am besten, wieder nach Cranachan zu gehen, nicht mehr an dieses geheimnisvolle Gerät zu denken, den ganzen käuflichen Zauber zu vergessen und sich in ein Buch zu versenken, in jenes eine und letzte Buch, das Merlot noch nicht konfisziert hatte.
    Hogshead war drauf und dran aufzubrechen, wollte sich eben nach einer Mitfahrgelegenheit umsehen, da kam dieser Mandolinist auf den Platz spaziert, warf seine Mütze auf den Boden und zupfte drauflos.
    Hogshead war perplex. Die Zupfgeige war verstimmt, von Takt oder Rhythmus hatte dieser Instrumentalvirtuose allem Anschein nach noch nie gehört, und trotzdem schien das niemanden zu kümmern. Silbergroschen um Silbergroschen landete in der Mütze des cleveren Straßenmusikanten, der dringend ein neues Gebiß gebraucht hätte.
    Hogshead kochte vor Wut über die Ungerechtigkeit der Welt. Warum hatte er keine Mandoline? Hätte er eine gehabt, dann hätte er etwas von dieser Geldquelle, die so unvermittelt zu sprudeln begonnen hatte, für sich abzweigen können! Warum konnte er nicht irgend etwas zum Besten geben … Moment mal! Er konnte doch auch etwas! Noch dazu etwas, das um Klassen besser war!
    Er hätte nie gedacht, daß es einmal soweit kommen würde; hätte nie geglaubt, daß er seinen großen Durchbruch in aller Öffentlichkeit, auf eine so plakativ reißerische Art und Weise erzielen sollte. Er hatte sich das immer ganz anders vorstellt: ein verschwiegenes Zimmerchen, wenige ausgewählte Freude … Aber so?! Er durfte gar nicht daran denken. Wenigstens kannte ihn hier keiner. Er hüstelte nervös und ließ vier Feuerkugeln

Weitere Kostenlose Bücher