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Die Nanowichte

Die Nanowichte

Titel: Die Nanowichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Harman
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Verdächtigen festgenommen. Dann hatte er besagten Verdächtigen in eine Zelle geworfen, hatte Strappado geholt und anschließend festgestellt, daß … daß ein Papagei in der Zelle hockte und der Verdächtige verschwunden war. Ah-ha. Schlußfolgerung? Ganz einfach: Der Junge hatte sich in einen Vogel verwandelt.
    Der weitaus überwiegende Teil von Ryffels Gehirn schrie vor Verzweiflung auf. Hätte es eine neuronale Demokratie gegeben, dann wäre dieser Gedankengang auf der Stelle unterbrochen worden, und alle Überlegungen, Wünsche und Reflexionen wären ohne Umschweife auf eine andere Spekulationsroute umgelenkt worden.
    Aber so … In einer stillgelegten Ecke seines Verstandes sprang eine Gruppe Konklusionen erregt auf und stellte klar, daß sie erst dann stillhalten wollten, wenn man sie sagen ließ, was sie zu sagen hatten.
    Er hatte recht. Der Junge mußte sich in einen Vogel verwandelt haben. Ganz klar. Er war der Zauberer, hinter dem Strappado her war. Ein krimineller, metamorphischer Mörder, der sich in einen Papagei verwandelte, um sich seiner Strafe zu entziehen. Wenn Strappado das erfuhr! Junge, Junge!
    Er machte auf der Stelle kehrt, sauste los und rannte ein wuseliges Weiblein über den Haufen, das einen Zwicker auf der Nase hatte, dessen Gläser fast blind waren.
    »Ryffel! Wirst du wohl herkommen!« schrie die Frau, die auf dem Rücken gelandet war. »Aber sofort!«
    Er gehorchte widerwillig und zog sie mit einem scheußlich schmatzenden Geräusch vom schlammigen Boden hoch.
    Und noch bevor er sie wieder ablegen und erneut losrennen hätte können, um Strappado seine brandaktuellen Neuigkeiten zu überbringen, hatte sie ihm beim Kragen gepackt und teilte ihm mit: »Schon wieder einer. Ich habe schon wieder einen gefunden. Sie versuchen es schon wieder!«
    »Was versuchen sie schon wieder?« fragte er gedankenlos.
    »Den Bach zu verschmutzen. Da liegt schon wieder so ein Sack im Bachbett.«
    »Schon wieder!«
    Das übertraf seine schlimmsten Befürchtungen. Wie Strappado wohl reagieren würde, wenn er melden mußte, daß sich jetzt ein Serienmörder, Zauberer und metamorphisch begabt, in Guldenburg herumtrieb?
    Er befürchtete fast, daß er mit dieser Geschichte nicht sehr gut ankommen würde.
     
    Meyer Khulpa war schweißgebadet. So schnell sauste er die Wendeltreppe im Rathaus hinunter, daß seine Füße kaum die Stufen berührten. Vor sich sah er den grinsenden Dieb und dessen Jüngerschar, hinter sich seinen aufgeregt fuchtelnden Sekretär. Aber den beachtete er nicht weiter – was wußte dieser Hanswurst schon von der hohen Würde des Bürgermeisteramtes? Ich hole mir meine Amtskette, wie ich will!
    Am Ende der Wendeltreppe verbreiterte sich der Korridor und senkte sich in sanftem Bogen zum Eingangsportal ab, zu dessen Seiten zwei riesige Wachen postiert waren.
    »Aufhalten!« krächzte Meyer Khulpa. »Nehmt ihn fest! Das ist ein Befehl!«
    Augenblicklich wurden die Wachen mobil und stellten sich vor die Türen.
    »Siehst du?« schrie der Bürgermeister. »Kein Entkommen! Gib mir meine Kette wieder!«
    Quintzi blieb einen Moment lang reglos stehen, sah die Wachen mürrisch an und in seinen Manteltaschen nach. Im Nu hatte er gefunden, was er gesucht hatte: Er hielt eine Kristallkugel in der Hand und nahm jene Haltung an, die Schauspieler gern annehmen, wenn sie einen Totenkopf ansehen, der Yorick heißt.
    »Eine Vision!« Quintzi starrte in die leere Kugel. »Ich sehe zwei Wachen, die die Freuden des Wohlstands genießen. Ich sehe zwei Türen – nicht unähnlich den Türen, die ich auch hier vor mir sehe. Ich sehe, wie sie auf wundersame Weise aufschwingen und wie die Klinken nach unten gedrückt werden – von zwei Wachen, die kleine Geldsäcke in der Hand halten. Kleine Säcke wie die hier«, sagte Quintzi. Und auf wundersame Weise kamen zwei Säcke voll Silbergroschen aus seinen Taschen und durch die Luft geflogen und wurden mühelos von den Türstehern aufgefangen, die jetzt auf einmal grinsten. Wäre Meyer Khulpa nicht so entsetzlich außer Atem gewesen, er hätte gefaucht und einen sehr, sehr unschönen Fluch ausgestoßen. Auf wenig wundersame Weise öffneten sich knarrend die Türen.
    Quintzi trat auf den Platz vor dem prunkvollen Rathausbau, hob beschwichtigend die Hände und begrüßte die Menge, die sich hier versammelt hatte, angelockt von den Plakaten, die Guldenburg verunzierten wie die Folgen einer Pockenepidemie.
    »Damen und Herren und ganz besonders auch meine lieben Kinder.

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