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Die Nanowichte

Die Nanowichte

Titel: Die Nanowichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Harman
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blickte zu Quintzi auf. »Sagen Sie es uns!«
    »Ich … ich …« Quintzi wurde einen Augenblick schwummerig, als er sein Spiegelbild in der Kugel sah. War es nur Einbildung, oder sah er tatsächlich wieder etwas runzliger aus? Nein, sicher nicht! War bestimmt nur eine Täuschung, ein Lichtreflex … Er riß sich zusammen, atmete ein und setzte seine prophetische Schau fort.
    »Ich sehe … Ich sehe eingeschlagene Fenster in den Straßen der Stadt; sehe Beamte des Amtes für Natürliche Ordnung mit Schlagstöcken gegen den Mob vorgehen; sehe einen Teddybär auf der Straße liegen, zertrampelt von den Füßen der fliehenden …«
    Zehn Kinder begannen gleichzeitig zu heulen und an den Ärmeln ihrer Eltern zu zerren.
    »Ich sehe Chaos und Verfall, Zerstörung und dauerhafte Schäden. Und ich … Nein! Das darf nicht sein!« Quintzi verzog gequält das Gesicht, als müßte er mitansehen, wie abscheulichster Verrat verübt wurde, als würde er Zeuge äußerster Perfidie und Heimtücke. »Das kann nicht sein!« Geschickt peitschte er die Emotionen der Menschen auf und machte ihre leichtgläubigen Herzen, die erfüllt waren vom Mißtrauen gegenüber dem Bürgermeister, bereit für eine sensationelle (wenn auch erlogene) Offenbarung. Quintzi blickte den feisten, verschwitzten Meyer Khulpa flüchtig an und zuckte gepeinigt zusammen. Es war eine bühnenreife Leistung, jeder Theaterschauspieler hätte ihn darum beneidet. Wenn auch nicht unbedingt um das schmerzende Hüftgelenk, das ihm diese dramatische Meisterleistung so leicht gemacht hatte.
    »Sagen Sie es uns!« schrie Zock wieder. »Was sehen Sie?«
    »Ich … ich … nein. Es ist viel zu schrecklich …«
    Die Zuschauer brüllten entrüstet. Sie wollten es genau wissen. Nur um zu hören, daß die Zukunft nicht sonderlich rosig aussah – dafür waren sie nicht hergekommen und hatten die kostbare Zeit verschwendet, die sie für ihre diversen Wirtshausaktivitäten so notwendig brauchten. Nein, jetzt wollten sie Begründungen hören! Daß es noch einmal böse enden würde: Du liebe Güte – das erzählte einem jeder x-beliebige und einigermaßen ausreichend beduselte Fatalist auch! Fakten wollten sie hören, Fakten!
    »Als ordnungsgemäß gewählter Repräsentant dieses Gemeinwesens«, schrie Meyer Khulpa gegen die Mauer der selbsternannten Jünger an, »fordere ich Sie auf, daß Sie uns in Kenntnis setzen über den Kenntnisstand, von dem Sie jüngst Kenntnis bekommen haben!« Er grinste zufrieden. Meisterlich formuliert! beglückwünschte er sich. Er wußte zwar nicht genau, was er damit eigentlich gemeint hatte … Aber das wußten die anderen schließlich auch nicht.
    »Ich glaube, das möchten Sie lieber gar nicht wissen«, warnte Quintzi und wischte sich eine imaginäre Träne vom Gesicht.
    »O doch, das will ich!« beharrte Meyer Khulpa, der zu spüren meinte, daß er endlich wieder ein wenig an Boden gewann.
    »Glauben Sie mir, Sie wollen es gar nicht wissen!«
    »O doch, ich will es!«
    Quintzi schüttelte den Kopf und löste damit einen Erschütterung aus, die seine Knochen knacken und knirschen ließ. »Nein!« schrie er unwillkürlich, als ihm zu seinem Entsetzen bewußt wurde, daß die Wirkung des Thaumaglobins nachließ.
    »DOCH!« brüllte die Menge. »Lassen Sie hören!«
    »Äh … also gut.« Er hatte sich schnell wieder von seinem Schock erholt und hätte bestimmt schon im nächsten Moment zu letzten, vernichtenden Schlag ausgeholt, wenn nicht plötzlich sein Kinn ganz scheußlich zu jucken begonnen hätte. Erschrocken stellte er fest, daß sein Kinn wie verrückt Haare austrieb. Er stemmte sich mit aller Macht gegen die wachsende Panik, zog sich die Kapuze über den Kopf und hielt, wie ein Priester vor einem riesigen Altar, die Kristallkugel hoch empor. Die Menge drängelte nach vorn, alle wollten sichergehen, daß ihnen kein einziges von Quintzis Worten entging.
    »Über dem Trümmerchaos der Vernichtung …«, schrie er seinem tiefempfundenen Schmerz hinaus und würgte, weil sein altersschwacher Kehlkopf nicht mehr so recht mitmachen wollte. »Hinter allem Elend und Leid sehe ich … sehe ich ihn da lachen!« Quintzi zeigte genau auf das Herz des Bürgermeisters.
    Die Menge rückte drohend einen Schritt vor.
    »Ich sehe ständig steigende Restaurationskosten, ich sehe, daß immer mehr … äh … immer größere Summen, na, wie heißt dieses komische Wort … Schutzgeld bezahlt werden müssen!«
    Etliche Ladenbesitzer und Kaufleute brüllten

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