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Die Nanowichte

Die Nanowichte

Titel: Die Nanowichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Harman
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Ich heiße Sie alle, insbesondere auch euch, meine lieben Kinder, willkommen zu unserer abendlichen Diskussionsveranstaltung zum Thema: Die Zukunft von Guldenburg. Herzlich willkommen heißen möchte ich auch den Herrn Bürgermeister …«
    Die Rathaustür flog auf, und Meyer Khulpa stürzte fluchend und fauchend, dick und verschwitzt ins Freie. Sein Amtsornat hing ihm unordentlich am Leib, die schwabbelige Halspartie war nackt und unbedeckt.
    »Was starrt ihr mich so an, hä?« blaffte er die fünfzehntausend Köpfe zählende Menge der Verbrecher, Halsabschneider und Meuchelmörder an. »Wo steckt der verdammte Dieb, hä?«
    Zwölftausend Diebe schnappten heftig nach Luft und rückten eng zusammen. Wie konnte er es wagen, in aller Öffentlichkeit den Stand der Diebe zu beleidigen! Ein ehrenwertes und anständiges Gewerbe! Schließlich konnte sich nicht jeder Dahergelaufene als Dieb betätigen! Dazu mußte man tauglich sein, das erforderte jahrelange Übung! Wie konnte er es wagen …
    Bevor sich Meyer Khulpa auf Quintzi Cohatl stürzen konnte, gingen Zock und ein paar von den Jüngern auf ihn los. Sie packten ihn, schleiften ihn weg und setzten ihn vor der versammelten Menge auf einen ganz speziell für ihn bereitgestellten Stuhl.
    »Gib mir meine Kette wieder!« kreischte der zappelnde Bürgermeister. Sein Sekretär stand an der Tür und schüttelte mißbilligend den Kopf. Immerhin – er hatte ja noch versucht, ihn zu warnen!
    »Also!« Quintzi wandte sich mit dramatischem Schwung an die Menge. »Sie alle sind hier hergekommen, weil Sie etwas über die Zukunft erfahrn wollen, he?«
    Die Zuschauer traten nervös von einem Fuß auf den anderen. Wenn sie ganz ehrlich gewesen wären, dann hätten sie wahrscheinlich zugeben müssen, daß sie nur deshalb gekommen waren, weil sie wissen wollten, was eigentlich dran war an dem ganzen Wirbel. Allerlei Gerüchte über diesen Meister der Self-fulfilling Prophecy waren durchgesickert, maßlos übertriebenes Gerede und unglaubliche Geschichten hatten die Neugier des Guldenburger Durchschnittsbürgers weit über Normalmaß hinaus auswachsen lassen. Das konnte doch alles einfach nicht wahr sein, oder? Der Bursche sah doch noch so jung aus!
    »Nun: Hier ist sie, die Zukunft, hier in meiner Hand!« Er stellte sich neben den Kopf einer der beiden steinernen Amorettischen Giftschleichen, die sich links und rechts der Granittreppe ringelten. Staunend sah die Menge, wie er auf eine glitzernde Glaskugel in seiner Hand zeigte.
    Fachmännisch drückte er mit den Daumen auf den kleinen Kippschalter, die Kugel begann zu summen, wirbelnde Bilder flackerten auf, stabilisierten sich und flossen zu einem Bild zusammen.
    »… wieder bei der Sportvorausschau begrüßen darf, zu unserem Bericht vom …«, meldete sich eine Stimme in der Kugel. Quintzi hustete geräuschvoll, fingerte aufgeregt an den geriffelten Tasten einer kleinen Ziffernskala herum und stellte den Ton ab. Er blickte weiter in die Kugel, verfolgte die stumm ablaufende Übertragung des Geschicklichkeitswettbewerbs für Schweinehunde, der im nächsten Jahr in Llammarsh stattfand, und machte ein zutiefst besorgtes Gesicht. Als er sah, wie zwei Schweinehunde, fachmännisch dirigiert von den Pfiffen ihrer Besitzer, eine Herde Schafe zusammen und in einen Pferch trieben, da zuckten seine Lippen ironisch: Welch ein passendes Bild! dachte er.
    »Ich sehe die Zukunft!« rief er. »Ihre Zukunft mit diesem Bürgermeister!« Ganz offensichtlich fiel es ihm zunehmend leichter zu lügen.
    Angst erfaßte die Menge, als sie diese Worte hörte, sie breitete sich wie eine Schockwelle aus. Die Zukunft? Wirklich? Und diejenigen, die schon einmal Zeugen seiner Großtaten geworden waren, beugten sich vor und spitzten angestrengt die Ohren, damit ihnen ja nichts entging von der Verkündigung des weitblickenden Weisen.
    »Und leider muß ich Ihnen sagen … ooooh, nein … leider sieht sie nicht rosig aus!« sagte Quintzi jetzt, genau in dem Moment, als sich ein störrischer Schafbock herumdrehte und sich herausfordernd einem vorsichtig heranschleichenden Schweinehund stellte. Die Kugel zeigte eine Totalansicht des besorgten Gesichts eines Schäfers. »Schlimm, sehr schlimm!« sprach Quintzi weiter und brachte es tatsächlich fertig zu erbleichen. Er warf, ganz vorausschauende Verzweiflung, die Arme hoch und zuckte zusammen – seine Schulter knackte beängstigend arthritisch.
    »Was sehen Sie denn?« Zock, der vor der steinernen Giftschleiche stand,

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