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Die Nanowichte

Die Nanowichte

Titel: Die Nanowichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Harman
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Stelle herum, machte umgehend auf dem Absatz kehrt (eine Bravourleistung, durch die er es sich für lange Zeit bei manchen von den besseren Seiltänzern verscherzte), wollte zurück ans axolotische Ufer … da riß mit einem schnalzenden Krachen, wie mit einem Peitschenknall, das Trittseil, und die zerfetzten Enden fielen ins Dunkel der Schlucht. Miesly schrie und fiel hinterdrein, verschwand mit würdelosem Gezeter im Unbekannten. Nur wenig später rissen, begleitet vom Japsen, das aus Hunderten vor Verwunderung und Ergriffenheit aufgerissenen Mündern aufstieg, auch die Handseile. Zweimal an einem Tag! Zum zweiten Mal hatte Quintzi Cohatl mit umwerfender Akkuratesse das Unvorhersehbare vorhergesehen! Schon lauschte der eine oder andere aus der Meute angestrengt und wartete darauf, wie lange es wohl dauern würde, bis das platschende Geräusch von Mieslys Aufprall zu hören war. Wie nicht anders zu erwarten war, hörten sie nichts. »Und laßt euch bloß nicht einfallen, mir zu folgen!« schrie Quintzi über die Kluft. Dann fuhr er herum, rannte davon und konnte sich nur mit Mühe ein triumphierendes Grinsen verbeißen. Schade um Miesly, auch wenn er es verdient hatte. Er hätte eben auf die Warnungen hören sollen. Und wenn man die jahrelangen Mißhandlungen bedachte, die Grausamkeiten, ja dann …
    Es war ganz ohne Zweifel mehr an diesen kleinen grünen Lichtpünktchen dran, als man auf den ersten Blick für möglich gehalten hätte. Irgend etwas Mächtiges, etwas Gefährliches, etwas sehr, sehr Nützliches.
    Wenn sie nicht gewesen wären, hätte man ihn wegen Verbrechens gegen die Stadt auf dem Scheiterhaufen verbrannt, ohne sie wäre mittlerweile nicht mehr viel von ihm übrig gewesen. Aber andererseits: Wenn sie nicht gewesen wären, hätte man ihn auch nie des Niederbrennens von Scheunen bezichtigt.
    Diese drei Lichttüpfelchen würden sich bestimmt noch als äußerst brauchbar erweisen – wenn er erst einmal herausgefunden hatte, wie und wozu sie zu gebrauchen waren.
    Auf der anderen Seite der Kluft trat der Mob ratlos und unentschlossen von einem Fuß auf den anderen. Um den Großen Spalt herumgehen … Das war ein scheußlich langer Weg, auf dem es auch noch eine Menge Schlupfwinkel und Verstecke gab … Vielleicht war es besser, ihn einfach laufenzulassen … Ab mit Schaden und Gott sei Dank, daß er fort ist …
    »Steht nicht einfach so rum …«, hallte das Echo einer wütenden Stimme aus den Tiefen der Kluft. »Zieht mich raus!« schrie Miesly, der an einem Drittel der einstmaligen Brücke baumelte.
     
    Gut einen Tagesmarsch von den glänzenden Turmspitzen und schwelenden Scheuern der Bergstadt Axolotl entfernt, lag jenes geographisch nur sehr vage definierte Gebiet, das in folkloristischen Kreisen als ›Das Goldene Dreieck‹ bekannt war. Wie ein dichtes grünes Toupet krönte es das Culmän-Gebirge, seine Koteletten wucherten in mäandernden Windungen bis nahe an die an mit Tempeln übersäte Provinz Khompottscha heran, seine büscheligen Ponyfransen verzauselten sich etwa in die Richtung, wo das Königreich Mynymumm lag. Wie und warum das Goldene Dreieck zu seinem Beinamen gekommen war, das war etwa so schleierhaft wie die wallenden blaubraunen Dunst- und Nebelschleier, die seine subtropischen Wälder verdeckten: Die Region war alles andere als golden, und dreieckig war sie schon gar nicht. Doch das war etwas, das die Bewohner dieser Region (ein Volk, das mittels zahlloser Selbstgedrehter und allerlei dubioser Pfeifchen unermüdlich dafür sorgte, daß die zuverlässig schützende Nebeldecke der Illegalität aus halluzinogenem Schmauch nicht ausdünnte) nicht im geringsten bekümmerte. Obwohl die meisten von ihnen als Nhuh-Eydsh-Pilger zum fahrenden Volk gehörten – eine Unterweisung in Kartographie war mit Sicherheit das letzte, was sie in dieses Bergland führte. Ihre Pilgerreise hatte einen anderen und nur einen einzigen Grund …
    Und der war knapp fünf Fuß groß, hatte eine Brille mit kleinen runden Gläsern auf der Nase sitzen, hatte pfundschwere Blumenkränze um den Hals hängen und hieß Ellis Dee. Manchmal aber auch ›Opi Jumbauer‹ oder ›Der Weise High‹ oder ganz einfach ›Der King‹, je nachdem ob ein Mitglied der Khompottschanischen Drogenpolizei, ein Beamter des Rauschgiftdezernats von Mynymumm oder ein guter Freund von ihm sprach. Weil ihn das ewige Einerlei eines Leben für die alchimistische Forschung anödete (Konzept entwickeln, experimentell überprüfen, Resultat

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