Die Narben der Hoelle
nicht mehr erinnern kann, dass alles fehlt. Das letzte, woran ich mich erinnere, ist, dass ich mit meinen Leuten aus dem Hubschrauber gesprungen und in die Höhle eingedrungen … , ah, verdammt … «
Er hatte schon viel zu viel gesagt.
Langsam ging er wieder zu seinem Stuhl und setzte sich. Die Verzweiflung in seiner Stimme war unüberhörbar. »Alles, was ich von alldem heute weiß, habe ich nachträglich von meinem Freund Paule erfahren, der bei dem Einsatz dabei war. Und natürlich aus dem Untersuchungsbericht. Aber Paule war schon nicht mehr auf dem Schauplatz, als die Kinder erschossen wurden. Genau davon hat also auch er nichts gesehen. Und ich weiß nichts davon aus eigener Erinnerung. Die Untersuchungskommission stützt sich auf einige Indizien. Und die sprechen gegen mich. Trotzdem … «
Das Wort hing trostlos in der Luft.
»Ich will, ich kann einfach nicht glauben, dass ich das getan haben soll. Indizien hin oder her … «
Ayse fragte sanft: »Wie kann nur jemand auf die Idee kommen, Jo, dass du diese Kinder getötet hast – vor allem du selbst?« Sie brach ab. Tränen standen in ihren Augen. Sie nahm seine Hand. Dann sagte sie leise: »Es tut mir so leid. Du tust mir so leid.«
Mehmet trat zu ihr, legte einen Arm um ihre Schultern und sah Johannes an. »Mich würde aber wirklich interessieren, was da passiert sein soll. Schließlich hat man dafür gesorgt, dass du dich wie ein … « Er stockte.
»Dass ich mich wie ein Mörder fühle«, stieß Johannes hervor und traf in diesem Moment eine Entscheidung: Er würde sich nicht länger vorschreiben lassen, mit wem er reden und was er sagen durfte!
Entschlossen fuhr er fort: »Wenigstens ihr müsst erfahren, was ich getan haben soll. Karen … äh, die Ärzte haben mir sogar dringend empfohlen, darüber zu sprechen, sobald ich es mir zutraue. Ich weiß nicht, ob es schon geht. Aber ich bin euch dankbar, dass ihr mir zuhören wollt.« Er dachte einen Augenblick nach. »Also: Am besten fahren wir jetzt hinunter in den Hafen. Ich möchte mir das Schiff ansehen, bevor es dunkel wird. Danach setzen wir uns zusammen. Ist das okay für euch?«
Mehmet drückte sein Zigarillo aus und nickte.
Ayse sagte: »So machen wir’s. Wir packen rasch noch den Proviant in den Kofferraum und dann fahren wir!« Offensichtlich froh, etwas Praktisches vor sich zu haben, stand sie auf, sammelte die auf dem Tisch verstreuten Fotos ein und stapfte resolut ins Haus.
Es dämmerte bereits, als sie ankamen. Leuchtstoffröhren von vielen Laternen erhellten die Stege mit ihrem gelblichen Licht. Der Eigner hatte Mehmet alles genau beschrieben, als er ihm in Izmir die Schlüssel übergeben hatte, so dass sie die Yacht, die auf den Namen Akgül getauft war, sofort fanden.
Die, Weiße Rose’ hatte ihren Liegeplatz direkt am Kai, ganz in der Nähe des Hafenbüros, in dem bereits Licht brannte. Zwei große Kartons mit Konservendosen, Tüten und Päckchen, natürlich auch ein Karton mit Rotwein, verschwanden im Boot.
Bemühte Geschäftigkeit in gedrückter Stimmung, aufgesetzte Heiterkeit. Unsicherheit hatte sich zwischen ihnen breit gemacht.
Wo war auf einmal ihre jahrelange Vertrautheit?
Traurig arbeitete Johannes die Checkliste ab. Nach einer reichlich oberflächlichen Überprüfung stand aber fest: Alles war funktionstüchtig, wenn auch nicht mehr neu. Das Schiff war eine vielfach gebaute Serienyacht aus Frankreich, 36 Fuß lang, bereits über zwölf Jahre alt, aber gut in Schuss. Der Eigner pflegte es offenbar liebevoll, nutzte es jedoch selten.
»Bist du zufrieden?«, fragte Mehmet. Seine Verwirrung war ihm deutlich anzumerken.
»Sehr sogar, vielen Dank für alles!«
»Du kennst ja meine Kontonummer. Ich habe die Charter schon bezahlt. Hier sind die Kassenzettel für den Proviant und den Wein. Frisches Obst und Gemüse müsstest du aber noch selbst besorgen.«
»Hab ich mir für morgen früh vorgenommen«, erwiderte Johannes. Der Supermarkt lag direkt am Sportboothafen. Vorher würde er sich im Ort eine Rasur beim Friseur gönnen. Er blickte kurz auf die Quittung für die Charter. »Das ist ein fairer Preis, çok tesekkürler! Was ist mit der Kaution?«
»Wollte der Eigner nicht haben; er kennt mich ja.«
Ayse kam an Bord zurück, als es schon fast dunkel war. Sie hatte im Ort ofenfrisches Pide, ein paar aromatisch duftende Tomaten, Oliven, scharfe Paprika und eingelegten Schafskäse eingekauft. Alles richtete sie in der Kombüse auf einem Holzbrett an und stellte
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