Die Narben der Hoelle
drohte an seinen Einsätzen zu zerbrechen. Corinna würde sich damit nie arrangieren können.
Endlose, quälende Diskussionen. Beunruhigende Fragen.
Corinna bohrte erbarmungslos bis zur Wurzel.
Er war Soldat. Er folgte seinen Befehlen, wenn er in den Einsatz ging. Darauf lief es hinaus.
Was sonst sollte er tun – etwa kündigen?
An diesem Punkt hatte er bisher immer gekniffen.
Über Weihnachten hatten sie endlich einmal ein paar Tage Zeit füreinander gehabt.
Gefährliche Muße.
Während eines Spaziergangs hatte Corinna ihm so offen wie noch nie von ihren Ängsten erzählt, von ihrer Einsamkeit und dem, was sie ausstand, wenn er im Einsatz war. Während Johannes hilflos neben ihr hergestapft war, hatte sie weinend ihre Albträume geschildert. Regelmäßig suchten die sie heim, nachdem im Fernsehen erneut der verwüstete Ort eines blutigen Selbstmordattentats gezeigt wurde.
Seit jenem Spaziergang war das Thema zwischen ihnen nicht mehr zur Sprache gekommen. Es schien, als hätten sie es stillschweigend zum Tabu erklärt.
Zu viel Unausgesprochenes, zu viele Zweifel, zu viele Ängste. Wie lang hielt ihre Liebe das noch aus?
Schon viermal war er in Afghanistan gewesen, zweimal davon, seit sie sich kannten. In jedem der beiden Jahre ihres Zusammenlebens hatte er vier Monate dort verbracht. Und im April dieses Jahres stand der nächste Einsatz am Hindukusch für ihn und vierundzwanzig Männer aus seiner Kompanie bevor.
Also, rechnete er, blieben Corinna und ihm noch zwei Monate, bevor er sie wieder allein lassen musste.
Gestern Abend hatten sie gemeinsam ein kleines historisches Gasthaus in der Stadt besucht und Rostbraten mit hausgemachten schwäbischen Spätzle genossen. Als die Teller abgetragen waren, sah Corinna ihn über ihr Weinglas hinweg an und fragte: »Merkst du das?«
Verwirrt fragte er: »Was soll ich merken?«
»Dass wir nur über Belanglosigkeiten sprechen. Wir reden nur noch belangloses Zeug.« Sie trank einen großen Schluck Wein, stellte das Glas ab und sah ihn ernst an. »Je näher der Termin rückt, desto mehr versuchen wir, so zu tun, als ob … «
»Na, sag schon!«
»Es ist wie die alte Geschichte von dem Kind im dunklen Wald, das Angst hat und laut singt, damit es die bedrohlichen Geräusche nicht hört.«
Er musste nicht lange überlegen, welchen Termin sie gemeint hatte. Leise sagte er: »Lass uns zu Hause darüber reden, bitte«, bestellte noch zwei Schoppen und versuchte, Corinnas Blick auszuweichen.
Zu Hause hatten sie halbherzig versucht, den Abend zu retten, ein bisschen Musik gehört, noch ein Glas getrunken und waren schließlich in Sprachlosigkeit zu Bett gegangen. Wieder einmal.
Ach, Corinna. Mit einem resignierten Seufzer holte er seine Tasche aus dem Wohnzimmer, zog den gefütterten Feldparka an und überzeugte sich, dass die Handschuhe in den Taschen waren. Dann nahm er sein bordeauxrotes Barett von der Garderobe im Flur, löschte das Licht in der Wohnung und machte sich auf den Weg.
Als er nach dem langen Tag aus dem Gebäude der Kommandokompanie in die eiskalte Abendluft hinaustrat, war es schon fast zwanzig Uhr.
Die Übung war seit achtzehn Uhr beendet, anschließend aber hatte er mit seinen Leuten noch eine Nachbesprechung abgehalten. Der Übungstag war ordentlich verlaufen, abgesehen von kleineren Pannen. Und die waren wichtig, da sie im Einsatz natürlich auch vorkamen. Die Männer mussten lernen, mit unvorhergesehenen Situationen umzugehen, auch das war ein Übungszweck.
Leider war ausgerechnet Hauptfeldwebel Paul Sahler, sein bester Zugführer, langjähriger Weggefährte und persönlicher Freund, bei dem Versuch, vom FUCHS, einem gepanzerten Radfahrzeug, herunterzuspringen, auf der vereisten Schneespur ausgerutscht und unglücklich gegen einen Baumstumpf geprallt. Er hatte sich mit einer schmerzhaften Schulterverletzung im Sanitätszentrum beim Truppenarzt vorstellen müssen.
Hoffentlich nichts Ernstes, dachte Johannes. Auf Paule wollte er auf keinen Fall verzichten, wenn es wieder nach Afghanistan ging.
Er entschloss sich, dem Sanitätszentrum in der Kaserne einen Besuch abzustatten. Vielleicht hatte der Arzt Paule ja dabehalten müssen, oder, schlimmer noch, er war sogar ins Krankenhaus im Ort gebracht worden.
Nach wenigen hundert Metern, die er der Kälte wegen im Laufschritt zurücklegte, erreichte er das Gebäude mit dem großen roten Kreuz neben dem Eingang.
»Den Hauptfeldwebel haben wir nach Hause geschickt, der fällt für ein paar Tage aus.
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