Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Narrenburg

Die Narrenburg

Titel: Die Narrenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
Vom Netzwerk:
Millionenmal Millionen haben mitgearbeitet, daß es rolle, aber sie wurden weggelöscht und ausgetilgt, und neue Millionen werden mitarbeiten, und ausgelöscht werden. Es muß auch so sein: was Bilder, was Denkmale, was Geschichte, was Kleid und Wohnung des Geschiedenen - wenn das
Ich
dahin ist, das süße schöne Wunder, das nicht wieder kommt! Helft das Gräschen tilgen, das sein Fuß betrat, die Sandspur verwehen, auf der er ging, und die Schwelle umwandeln, auf der er saß, daß die Welt wieder jungfräulich sei, und nicht getrübt von dem nachziehenden Afterleben eines Gestorbenen. Sein Herz konntet ihr nicht retten, und was er übrig gelassen, wird durch die Gleichgültigkeit der Kommenden geschändet. Gebt es lieber dem reinen, dem goldnen, verzehrenden Feuer, daß nichts bleibe, als die blaue Luft, die er geathmet, die wir athmen, die Billionen vor uns geathmet, und die noch so unverwundet und glänzend über dir steht, als wäre sie eben gemacht, und du thätest den ersten, frischen, erquickenden Zug daraus. Wenn du seinen Schein vernichtet, dann schlage die Hände vor die Augen, weine bitterlich um ihn, so viel du willst - aber dann springe auf, und greife wieder zu an der Speiche, und hilf, daß es rolle - - bis auch du nicht mehr bist, Andere dich vergaßen, und wieder Andere, und wieder Andere an der Speiche sind.!
    Wundere dich nicht über diesen meinen Schmerz, da doch Alles, was ich in den vielen Blättern oben geschrieben habe, so heiter und so freundlich war, wundere dich nicht; denn ich gehe dem Engel meiner schwersten That entgegen, und aus den Pergamenten des rothen Felsensaales kam dieser Engel zu mir. Dort liegen die Schläfer, von ihrem Ahnherrn verurtheilt, daß sie nicht sterben können; eine schauderhaft durcheinanderredende Gesellschaft liegt dort, vor jedem Ankömmling müssen sie ihre Thaten wieder neu thun, sie seien groß oder klein; - diese Thaten, genug, sie waren ihr Leben, und verzehrten dieses Leben. Wenn es dein Gewissen zuläßt, später Enkel, so verbrenne die Rollen, und sprenge den Saal in die Luft. Ich thäte es selber, aber mir schaudert vor meinem Eide. Kannst es aber auch du nicht thun, so vergiß doch augenblicklich das Gelesene, daß sich die Gespenster all ihres Thuns nicht in dein Leben mischen und es trüben, sondern daß du es lieber rein und anfangsfähig aus der Hand deines Schöpfers trinkest.
    Ich fahre fort.
    Als ich aus Frankreich zurückkehrte, und das Bild des treuen Alfred doch schon zu erblassen begann - als ich fast alle Welt durchreis'te - als ich jeden Brief der Marquise unerbrochen zurücksandte, bis keiner mehr kam - da fiel es mir ein - - - lese nun das Folgende, weil du zu lesen geschworen, so wie ich es schrieb, weil ich es zu schreiben geschworen -: aber wenn du das Eisenthor des Gewölbes zuschlägst, so lasse Alles hinter dir zurück, und streue die Erinnerung in die Winde, damit du keinen Hauch davon, kein trübes Atom zu den Deinen nach Hause trägst, zu deinen armen Kindern, zu deinem schönen unschuldigen Weibe.
    Das Land Indien war es, wo mir der Engel meiner schwersten That erschien; - unter dunklem Schatten fremder Bäume war es, an einem Flusse, der so klar floß, als walle nur dichtere Luft längs der glänzenden Kiesel - das Schlechteste und Verachtetste, was die Menschheit hat, war dieser Engel, die Tochter eines Paria; aber schön war sie, schön über jeden Ausdruck, den eine Sprache ersinnen mag, und über jedes Bild, das in Jahrtausenden einmal in eine wallende Fantasie kommt. - -
    In den Pergamentrollen hatte ich gelernt, wie Alles nichtig und eitel sei, worauf Menschen ihr Glück setzen; denn es war Thorheit, was alle meine Vorfahren thaten. Ich wollte Neues thun. Den Kriegsruhm hatte ich schon genossen, dieß ekle, blutige Getränke; die Kunst hatte ich gefragt, aber sie sagt nichts, wenn das Herz nichts sagt; die Wissenschaften waren Rechenpfennige, und die Liebe Sinnlichkeit, und die Freundschaft Eigennutz. - - Da fiel mir ein, wie ich oben sagte, ich wolle nach dem Himalaia gehen. Ich wollte die riesenhaften und unschuldigen Pflanzen Gottes sehen, und eher noch wollte ich das große, einfache Meer versuchen.
    Ich kam nach dem Himalaia. Dort lernte ich die Hindusprache, dort sah ich das Bramanenleben, ein anderes, als unseres, d. h. anders thöricht - und dort ging auch die Paria zwischen Riesenpalmen nach dem Flusse, um Wasser für den Vater zu schöpfen. Sie hat, seit sie lebte, sonst nichts gethan, als daß sie durch die

Weitere Kostenlose Bücher