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Die narzisstische Gesellschaft

Die narzisstische Gesellschaft

Titel: Die narzisstische Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Joachim Maaz
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erforderlich sind, um den Panzer der Selbstabwertung allmählich aufzuweichen. Ich spreche bewusst nicht von der Liebe eines Therapeuten, die den Panzer sprengen könnte, weil die Liebe, die einem Menschen vorenthalten wurde, nicht nachträglich gegeben werden und ein Therapeut niemals wie die Mutter lieben kann (er verdient Geld für seine Zuwendung!). Aber aus eigener erkannter Not ist ein Therapeut eventuell in der Lage, sich gut einzufühlen, den Patienten empathisch zu verstehen und dies auch entsprechend zu kommunizieren.
    Die wesentliche Aufgabe therapeutischer Hilfe ist empathischer Beistand, um das bisher abgewehrte Unerträgliche und Schmerzliche zu erkennen und gefühlsmäßig zu verarbeiten. Wer indessen glaubt, durch bloße Zuwendung heilen zu können, ist selbst im narzisstischen Größenselbst befangen. Das Größenklein hält an seinem Misstrauen und seinen Zweifeln fest, lässt sich diese auch nicht durch «positives Denken» oder «Ressourcenorientierung» ausreden. Andererseits kann Zuwendung auch falsche Hoffnungen nähren; dadurch wird verhindert, dass der oder die Betroffene sich wirklich mit den Ursachen der Selbstabwertung auseinandersetzt. Gerade das aber ist die wichtigste Voraussetzung, um Kompetenz und Fähigkeiten für mögliche sekundäre Ich-Leistungen zu gewinnen. Zu akzeptieren, dass das Selbst beschädigt ist und bleibt und es dennoch Möglichkeiten gibt, selbstbestätigende Erfahrungen zu machen, schafft eine andere Lebensgrundlage, als sein Größenklein nur aufzublasen. Nur ist die therapeutische Kollusion von Größenselbst (Therapeut) und Größenklein (Patient) leider häufige Realität einer gemeinsamen Abwehr des narzisstischen Schmerzes.
    Das Größenselbst lässt sich stets zu besonderen Leistungen herausfordern, weil es sich immer wieder beweisen muss; das Größenklein dagegen ist in seiner Verzagtheit und ausagierten Minderwertigkeit in jeder Hinsicht eine soziale Last. Angesichts der zur Schau gestellten Schwäche wird auch die durchaus verständliche Kränkungswut zur Belästigung. Ganze Helferscharen und Fürsorgesysteme sind eifrig darum bemüht, die offenkundigen Selbstanklagen schnell zu beruhigen, mithin ihre bittere Botschaft nicht zur Wirkung kommen zu lassen. Nur die ganz devoten Bettler und Obdachlosen, die eine Unterbringung ablehnen, lassen sich ihr Größenklein nicht betäuben und weisen mit ihrer öffentlichen Existenz auch darauf hin, dass es nicht nur um ihr individuelles Schicksal geht, sondern dass auch die Gesellschaft Lebensformen für das Größenselbst und Größenklein bereithält. Mit Hartz  IV ist das Größenklein sozialpolitisch kultiviert und eben auch chronifiziert. Dadurch werden aber weder die Ursachen narzisstischer Störungen vermindert noch hilfreiche Anreize geschaffen, die individuelle Problematik zu verbessern. So gesehen sind die Sozialleistungen von Hartz  IV keine wirkliche Hilfe, sondern eher ein Schandmal der narzisstischen Gesellschaft, die nicht mehr in der Lage ist, das Größenklein zu verhindern, angemessen zu regulieren oder zu behandeln – mit dem Ziel, dass betroffene Menschen ihre Selbstwürde wiedererlangen, indem sie durch Förderung, Aus- und Weiterbildung und Therapie ihre Probleme erkennen und vermindern und zugleich Arbeit und Anerkennung für eine sinnvolle Kompensation ihrer narzisstischen Defizite finden.

Typischer Monolog eines Größenklein-Narzissten
    «Wir bekommen bestimmt schon wieder schlechtes Wetter, mir zieht es in den Knochen. Wieder so ein beschissener Tag. Herr X hat mir überhaupt nicht abgenommen, was ich wollte. Ich glaube, ich habe das auch nicht richtig rübergebracht. Kein Wunder, dass ich ihn nicht überzeugen konnte. Alle Mühen waren umsonst. Wenn ich so weitermache, verliere ich noch meinen Job, die Leute reden schon über mich. Ich bin der Einzige, der so gemobbt wird, da vergeht einem richtig die Lust. Am liebsten würde ich mich verdrücken und alles hinschmeißen. Das wird sowieso nichts mit mir. Mir ist der Appetit vergangen, das schlägt richtig auf den Magen. Ich mag jetzt gar nicht mehr ausgehen, ich grübele und grübele, was ich bloß machen könnte, ich komme aber zu keinem Ergebnis. Nicht mal Sex reißt mich da raus, ich bringe heute bestimmt nichts mehr zustande. Wenn ich schon an die Nacht denke, das wird wieder eine Qual, wenn ich nicht schlafen kann. Und morgen bin ich dann wieder so erschöpft.»
     
    Mit «Größenselbst» und «Größenklein» sind im Grunde zwei

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