Die Nebel von Avalon
Er schien nur noch aus Augen, Zähnen und Knochen zu bestehen, die aus den viel zu kleinen Kleidern hervorschauten. Alles Weibliche behandelte er mit größter Geringschätzung, und da sie sich zu dieser Zeit im schwierigsten Abschnitt ihrer Ausbildung befand, beachtete sie ihn kaum.
Die kleinen dunklen Männer, die die Barke ruderten, verbeugten sich schweigend vor Morgaine, um der Göttin ihre Ehrerbietung zu erweisen, die für sie die höheren Priesterinnen verkörperten. Schweigend gab sie das Zeichen und nahm ihren Platz am Bug ein. Die verhängte Barke glitt schnell und lautlos durch die Nebel. Morgaine spürte die Feuchtigkeit, die sich auf ihren Augenbrauen und in ihren Haaren in kleinen Tröpfchen niederschlug. Sie war hungrig und fror entsetzlich. Aber sie hatte gelernt, auch das nicht zu beachten. Als sie die Nebel hinter sich ließen, ging am anderen Ufer die Sonne auf. Sie sah einen Reiter mit seinem Pferd dort warten. Das Boot glitt unter bedächtigen Ruderschlägen langsam vorwärts. Morgaine blickte in einem seltenen Augenblick der Selbstvergessenheit neugierig zu dem Mann hinüber.
Der Reiter war feingliedrig, mit einem hübschen dunklen, scharf geschnittenen Gesicht, das durch die rote Kappe mit der Adlerfeder im Band und den weiten roten Umhang, der ihm anmutig über die Schultern fiel, noch betont wurde. Er saß ab; die natürliche Anmut seiner Bewegungen – die Anmut eines Tänzers – nahm ihr den Atem.
Hatte sie sich je gewünscht, blond und rundlich zu sein, wenn schwarz und schlank zu sein so schön sein konnte? Er hatte auch dunkle Augen, und in ihnen blitzte es übermütig – nur daran erkannte Morgaine, um wen es sich handeln mußte, denn sonst erinnerte nichts mehr an den hageren Jungen mit den knochigen Beinen und den viel zu großen Füßen.
»Galahad«, sagte sie leise, um zu verhindern, daß ihre Stimme zitterte – eine Angewohnheit der Priesterinnen. »Ich hätte Euch beinahe nicht erkannt.«
Er machte eine höfische Verbeugung, und der Mantel öffnete sich in großem Schwung. Hatte sie dies je verächtlich als ein Kunststück der Gaukler abgetan? Bei Galahad war diese Bewegung vollkommen eins mit seinem Körper. »Herrin«, sagte er.
Er hat mich nicht erkannt. Lassen wir es dabei.
Weshalb erinnerte sie sich in diesem Augenblick an Vivianes Worte:
Deine Jungfräulichkeit ist der Göttin geweiht. Bewahre sie, bis die Mutter dir ihren Willen kundtut.
Erschrocken stellte Morgaine fest, daß sie zum ersten Mal in ihrem Leben einen Mann mit Verlangen ansah. Sie wußte, daß solches nicht für sie bestimmt war, und daß sie ihr Leben nach den Geboten der Göttin zu führen hatte, und hatte deshalb in den Männern verächtlich nur die natürliche Beute der Göttin in Gestalt ihrer Priesterinnen gesehen. Sie wurden genommen oder zurückgewiesen, wie es der Augenblick ergab. Viviane hatte befohlen, daß Morgaine in diesem Jahr nicht an den Ritualen der Feldfeuer teilnehmen sollte.
Manche Priesterinnen empfingen nach dem Willen der Göttin bei diesem Fest und bekamen ein Kind oder verhinderten dieses mit Kräutergetränken und Tinkturen. Wenn man sich einer solchen – unange
nehmen – Behandlung jedoch nicht unterzog, folgten darauf unvermeidlich die noch unangenehmere und gefährlichere Geburt und lästige Kinder. Sie wurden großgezogen oder zu Zieheltern gebracht, ganz wie die Herrin es befahl. Morgaine war froh gewesen, diesmal alldem zu entgehen. Sie wußte, Viviane hatte andere Pläne mit ihr.
Sie bedeutete Galahad mit einem Wink, an Bord zu kommen.
Berühre niemals einen Außenseiter –
das waren die Worte der alten Priesterin, die sie ausgebildet hatte;
eine Priesterin von Avalon muß immer eine Besucherin aus einer anderen Welt sein.
Morgaine überlegte, weshalb sie ihre Hand zurückgezogen hatte, mit der sie sein Handgelenk umfassen wollte. Und mit einer Sicherheit, die das Blut in ihren Schläfen pochen ließ, wußte sie, daß unter der glatten Haut harte, vor Leben pulsierende Muskeln lagen. Sie sehnte sich danach, ihm wieder in die Augen zu blicken. Sie wendete sich ab und versuchte, sich zu beherrschen.
Galahads Stimme klang tief und tönte voll, als er sagte: »Oh, jetzt, wo Ihr Eure Hände bewegt, erkenne ich Euch… sonst hat sich alles an Euch verändert. Wart Ihr früher nicht meine Base Morgaine, Priesterin?« Die dunklen Augen blitzten: »Nichts ist mehr wie damals, als ich dich Morgaine, die Fee nannte…«
»Das war ich und das bin ich. Aber Jahre sind
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