Die Nebel von Avalon
Feuerschein. »Aber hassen könnte ich Euch nie!«
Viviane seufzte tief und schob Zukunft und Furcht beiseite. »Und du fürchtest nicht mich«, sagte Viviane, »sondern
Sie.
Wir sind beide in ihrer Hand, mein Kind. Deine Jungfräulichkeit ist der Göttin heilig. Bewahre sie, bis die Göttin dir ihren Willen bekundet.«
Morgaine legte ihre kleinen Hände in Vivianes. »So sei es«, flüsterte sie. »Ich schwör's.«
Am nächsten Tag brachte man Morgaine in das Haus der Jungfrauen, und dort blieb sie viele Jahre.
Morgaine erzählt…
Wie schildert man den Werdegang einer Priesterin? Was nicht bekannt ist, ist geheim. Alle, die diesen Weg gegangen sind, wissen das. Und jene, die es nicht getan haben, werden es nie wissen, selbst wenn ich alles Verbotene niederschreiben würde. Siebenmal kamen und gingen die Beltanefeuer. Siebenmal ließ uns der Winter unter seiner Eisfaust zittern. Das Gesicht stellte sich bei mir ohne Mühe ein. Viviane hatte gesagt, daß ich zur Priesterin geboren sei. Schwieriger fiel es, das Gesicht nach meinem Willen und nur nach meinem Willen zu rufen, und die Pforten zu schließen, wenn ich nichts sehen sollte.
Doch die kleinen magischen Dinge fielen mir am schwersten. Sie zwangen meinen Geist, auf ungewohnten Wegen zu wandern. Das Feuer zu beschwören, die Flammen auflodern zu lassen, die Nebel zu rufen und den Regen zu bringen… all das war einfach. Aber zu wissen, wann man Regen oder Nebel beschwören und wann man dies den Göttern überlassen sollte, das war sehr viel schwerer. Auf anderen Gebieten half mir das Gesicht nichts: bei der Kräuterkunde, der Heilkunde, bei den langen Gesängen, von denen kein Wort je niedergeschrieben werden durfte. Denn wie kann das Wissen der Großen Götter etwas von Menschen Geschaffenem anvertraut werden?
Manche Lektionen waren reine Freude. Man erlaubte mir, die Harfe zu spielen und mir selbst aus heiligem Holz und den Därmen eines Opfertiers eine Harfe zu bauen. Andere Übungen jagten mir Entsetzen ein. Am schwersten fiel mir vielleicht, mir selbst zu begegnen, wenn sich unter der Wirkung von berauschenden Mitteln der Geist vom kranken und gepeinigten Körper löste. Dann überschritt der Geist die Grenzen von Zeit und Raum und las in den Büchern der Vergangenheit und der Zukunft. Aber darüber darf ich nicht sprechen. Doch schließlich kam der Tag, an dem ich nur mit einem dünnen Untergewand bekleidet und nur dem kleinen Dolch der Priesterin bewaffnet, Avalon verlassen mußte – um zurückzukehren, wenn ich konnte. Ich wußte, man würde mich wie eine Tote betrauern, wenn es mir nicht gelang. Aber die Pforten würden sich mir nie wieder öffnen, wenn ich sie nicht mit meinem Willen und durch meinen Befehl selbst zu öffnen vermochte. Als die Nebel sich um mich schlossen, wanderte ich lange an den Ufern des unbekannten Sees entlang, nur die Glocken und die düsteren Gesänge der Mönche in den Ohren. Schließlich durchdrang ich die Nebel und beschwor die Göttin. Meine Füße standen auf der Erde, und der Kopf ragte bis hoch zu den Sternen, die sich von Horizont zu Horizont erstreckten, und laut rief ich das große Wort der Macht…
Die Nebel teilten sich. Und vor mir lag das sonnenüberflutete Ufer, an das die Herrin mich vor sieben Jahren gebracht hatte. Ich setzte den Fuß auf die feste Erde meiner Heimat. Ich weinte, wie ich damals geweint hatte, als ich – ein verängstigtes Kind – zum erstenmal an Land ging. Dann erhielt ich durch die Hand der Göttin ihr Zeichen: den Halbmond auf der Stirn… aber das ist
ein Geheimnis, und es ist verboten, davon zu künden. Alle, die den glühenden Kuß Ceridwens auf die Stirn empfangen haben, wissen, wovon ich spreche. Im zweiten Frühling danach – ich war vom Schweigegelübde entbunden – kehrte Galahad nach Avalon zurück. Sein Vater König Ban von der Bretagne hatte ihn selbst zu einem guten Ritter im Kampf gegen die Sachsen gemacht.
12
Priesterinnen, die bereits eine gewisse Ausbildung hinter sich hatten, wechselten sich im Dienst bei der Herrin am See ab. In dieser Jahreszeit war die Herrin sehr in Anspruch genommen von den Vorbereitungen für das kommende Fest der Sommersonnenwende. Deshalb schlief eine der Priesterinnen in dem kleinen Lehmhaus, damit der Herrin Tag und Nacht jemand zur Verfügung stand…
Es war früh morgens. Die Sonne verbarg sich noch im Nebel am Horizont, als Viviane aus ihrem Zimmer trat und die diensthabende Priesterin in der dahinter liegenden Kammer durch ein
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